Süddeutsche Zeitung

"Schmigadoon!" auf Apple TV+:Das singende Dorf

Lesezeit: 2 min

Die Serie "Schmigadoon!" ist eine Parodie des Musical-Kitschs der Vierzigerjahre - und sehr gelungen.

Von Lena Reuters

Bei klassischen Musicals kannst du dich entweder auf die drollige Komik, das Pathos und die großen gefühligen Lieder einlassen. Oder du kannst es eben nicht. Wem das zu doll ist, der wird sich für Schmigadoon! nicht erwärmen können. Wer Lust hat, für drei Stunden in eine sehr unterhaltsame und überdrehte Parallelwelt zu flüchten, sollte einschalten. Das Ausrufezeichen im Titel steht für die volle Dröhnung an fröhlichen Tanz- und Gesangsnummern.

Die AppleTV+-Serie erzählt die Geschichte von Josh und Melissa, einem geradezu archetypischen Paar Mitte dreißig. Ihrer Beziehung ist zuletzt die Luft ausgegangen. Sie starten zu einem Survival-Trip durch den Wald, um ihre emotionale Bindung zu stärken. Doch die beiden stranden in der Kleinstadt Schmigadoon. Empfangen werden sie mit einer aufwendigen Showeinlage, in der die Stadtbewohner in pastelliger Kulisse und pompösen Röcken singen und tanzen.

Die Pointen sind nicht nur bissig, sie spielen zugleich mit den Klischees des Musicals

Zuerst denken sie, es handle sich um ein abgefahrenes Disney-Resort, dann merken sie, dass sie in einem prüden Heile-Welt-Universum der Vierzigerjahre samt seinen aufgekratzten Bewohnern festsitzen. Melissa kann instinktiv mitsingen und der Stadt einiges abgewinnen. Josh ist zu cool und ablehnend, um bei der Musical-Nummer einzusteigen. Auf jeden Fall wollen beide zurück in die Außenwelt. Das können die beiden New Yorker nur, wenn sie mit ihrer wahren Liebe die Brücke am Ende des Ortes überqueren. Doch als sie sich auf den Weg machen, taucht am Ende der Brücke - wieder Schmigadoon auf.

Bis jetzt werden es nur Musical-Nerds registriert haben: Die Mini-Serie parodiert und zelebriert klassische Musicals wie Brigadoon, Oklahoma! und Carousel. Das beginnt beim Titel und geht in der Geschichte weiter. Die hat ihren Ursprung - Überraschung - in Thüringen. 1860 schrieb Friedrich Gerstäcker in Germelshausen über ein verfluchtes Dorf, das in der Erde versunken ist und alle 100 Jahre einen Tag erscheinen darf. Im Musical Brigadoon wird der Plot nach Schottland verlegt, bleibt ansonsten aber gleich: Ein Mann, der an diesem einen Tag im Dorf eintrifft, verliebt sich und muss entscheiden, ob er zu seinem alten Leben zurückkehrt.

Die Parodie funktioniert vor allem über die raffinierten Dialoge. Die Autoren von Schmigadoon! sind für ihre Arbeit in Sketch-Comedy und Sitcoms bekannt. Die Pointen sind nicht nur bissig. Sie spielen auf einer Metaebene zugleich mit den Klischees des Musicals. Melissa sagt, als eine junge Frau vor einem Pulk aus Freundinnen von ihrer Verlobung erzählt, Frauenfiguren seien in früheren Musicals doch so was von "schlecht geschrieben" worden. Außerdem könne die Stadt so unmodern nicht sein, angesichts des "farbenblinden Castings". Das starke Ensemble trägt die Serie. Broadway-Star Kristin Chenoweth glänzt beispielsweise als miesepetrige Pfarrersfrau, der nichts wichtiger ist als Enthaltsamkeit vor der Ehe.

Nach den sechs Folgen ist der Gag, um den sich die Geschichte dreht, dann auserzählt. Wir haben es verstanden, Musicals der Vierziger- und Fünfzigerjahre sind kitschig, sexistisch und alle recht ähnlich. Für ein paar Stunden mit Josh und Melissa in die schrullige Musical-Welt einzutauchen, lohnt sich dennoch sehr.

Schmigadoon!, Apple TV+, jeden Freitag eine neue Folge

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