Süddeutsche Zeitung

Maybrit Illner zur Pandemielage:"Ihr habt komplett versagt"

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Ärztechef Montgomery geht mit Fundamentalkritik auf die beiden Politiker in der TV-Runde los. Irritierender aber als deren provozierende Ruhe ist die Ratlosigkeit, mit der sie alle Fragen wegbeantworten.

Von Cornelius Pollmer

Das Thema bei Maybrit Illner lautet: "Wieso ist der November so viel grauer als der Oktober?" - wobei, Moment, das ist noch gar nicht die Sendung, das ist noch der vorgeschaltete Wetterbericht mit Katja Horneffer. Letztlich natürlich egal, weil Katja Horneffer über das Wetter sagt, was man über Corona sinngemäß gleich ebenfalls wieder hören wird: "Und auch morgen wird es für viele wieder ein trüber Tag ... ab Sonntag wird es noch kälter!"

Das Thema bei Maybrit Illner lautet also tatsächlich: "Politik wieder im Alarmzustand - kommt der Lockdown für Ungeimpfte?" Da ist von vornherein klar, dass auch der heutige Abend für viele wieder ein trüber wird. Denn in Deutschland wird weiterhin viel mehr geredet als geimpft. Illner nimmt zu Beginn Bezug auf die tagesaktuellen Beschlusslagen der Ministerpräsidentenkonferenz und endet wie folgt: "Man fragt sich: Ist das jetzt endlich so etwas wie ein Plan?" Wer das darauf folgende Reden nicht mehr ganz so gut vertragen kann, der findet seinen Anwalt sonderbarer Weise in Frank Ulrich Montgomery, dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes.

Markus Söder hatte Montgomery neulich bei Anne Will wiederholt erstaunlich hündisch als "Herr Präsident" angesprochen. Montgomery erweist umgekehrt dem politischen Personal nun keinerlei Ehre. "Ihr habt komplett versagt", ruft er dem geschäftsführenden Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und der bündnisgrünen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt stellvertretend zu. Und weiter: "Sie schulden den Bürgern jetzt den Respekt, zu handeln ... Wo ist die Logistik, wo ist das Konzept, wo ist die Struktur? ... Sie müssen schlicht und einfach handeln ... man muss vorangehen und nicht immer fragen, wie die Umfragen sind."

Auch Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, sagt, es gebe in der politischen Steuerung der Pandemie in Deutschland "einen großen Mangel an Entschlossenheit" - auch deswegen sei das Vertrauen eines nicht geringen Teils der Bevölkerung in den Staat beschädigt. In der Pandemie seien deswegen bislang "hartnäckige Vorurteile" über dieses Land widerlegt worden. Deutsche Effizienz, das klingt im Corona-Kontext inzwischen wie eine contradictio in adiecto.

Die fundamentale Kritik bleibt ohne große Wirkung

Was einen als Zuschauer an diesem Abend besonders novembertrübe werden lassen kann: Selbst fundamentale Kritik wie die von Montgomery oder di Lorenzo bleibt ohne große Wirkung. Braun und Göring-Eckardt sitzen da in einer Ruhe, die schwer zusammenzubringen ist mit der mangelhaften Performance, die viele politische Führungskräfte seit längerer Zeit zeigen.

Man kann es besserwisserisch im Sinne von ätschi-bätschi finden, dass Maybrit Illner in einer Art Fleißarbeit untersucht, wer im Sommer und sogar danach wann genau welchen Entwarnungsunfug erzählt hat - und wer wie Jens Spahn sogar in Aussicht stellte, Corona isch im Grunde over. Irritierender sind dann aber doch die Ratlosigkeit und Routine, mit der vor allem Braun und Göring-Eckardt jede Frage irgendwie wegbeantworten.

Womöglich liegt das aber auch daran, dass in dieser vierten Welle kein Mensch es noch aushalten kann, wenn politisch Verantwortliche die ewig gleichen Argumente und Sätze wiederkäuen. Man kennt die Absichtserklärungen, das blame game, die komplett stumpfen Bilder wie jenes der "Sommerreifen" (= Untätigkeit), mit denen man jetzt in den Winter (= vierte Welle) fahre. Dennoch wird die epidemische Talkshow-Lage von nationaler Tragweite vermutlich verlängert. Kommenden Donnerstag dann auch wieder mit Maybrit Illner, "gleiche Stelle, gleiche Welle", wie die Moderatorin sagt. Mit Welle ist hier vermutlich immer noch der Sender gemeint, so ganz sicher aber ist das nicht.

Was Illner nicht mehr sagt am Ende ihrer Sendungen, sollte man sich in den kommenden Monaten wenigstens dazudenken: "Bleiben Sie heiter, irgendwie!"

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