Süddeutsche Zeitung

The Night Of:War er's oder war er's nicht?

Lesezeit: 2 min

"The Night Of" erzählt die Geschichte eines Verbrechens.

Von Karoline Meta Beisel

Wem wäre eher ein Mord zuzutrauen: einem fleißigen BWL-Studenten, der den Sport-Assen an der Uni Nachhilfe gibt und beinahe zu schüchtern ist, um auf eine Party zu gehen? Oder dem kahlrasierten Sohn pakistanischer Immigranten, der sich im Knast die Buchstaben S-I-N auf die Fingerknöchel tätowiert, englisch für "Sünde"?

Die Frage ist natürlich Blödsinn, Mörder - oder unschuldig - könnten alle beide sein. Aber die jüngste Miniserie aus dem Hause HBO spielt mit solchen Vorurteilen.

Sie beginnt mit "The Night Of", jener Nacht, in der der Taxifahrer-Sohn Nazir "Nas" Khan (Riz Ahmed) beginnt, sich vom einen zum anderen zu wandeln, vom BWL-Studenten zum tätowierten Häftling. Nas hat das Taxi seines Vaters stibitzt. Auf dem Weg zu einer Party nimmt er ein schönes junges Mädchen mit. Sie fahren zu ihr, nehmen Drogen, haben Sex. Als Nas am nächsten Morgen aufwacht, ist das Mädchen tot, 22 Messerstiche - und er der Hauptverdächtige. Nur: Ist er es auch gewesen?

Seinem Anwalt ist das wurscht. "Die Wahrheit interessiert mich nicht", sagt John Stone (John Turturro). Der Anwalt in dem abgetragenen Riesenmantel verteidigt sonst Kleinkriminelle, "No fee 'til you're free - keine Kosten, bis Sie wieder auf freiem Fuß sind". Der Fall von Nas ist der eine, der ihm wirklich zu Herzen geht: Alles spricht gegen den jungen Mann - aber der beharrt auf seiner Unschuld.

Die acht Folgen von The Night Of erinnern an den Erfolgspodcast Serial über einen wahren Mordfall. Wie bei Serial gibt es in The Night Of keine Beweise, nur Indizien. Die meisten sprechen gegen Nas, der in Untersuchungshaft auf der Gefängnisinsel Rikers Island immer mehr zu dem finsteren Gesellen wird, als den ihn die eiskalte Staatsanwältin später im Prozess hinzustellen versucht. Die größte Gemeinsamkeit aber ist, dass sich der Zuschauer auch hier ständig aufs Neue fragt: Glaubt er Nas oder nicht? Der Effekt: Es ist unglaublich schwer, nach nur einer Folge aufzuhören. Vielleicht bringt ja die nächste Woche den entscheidenden Hinweis?

Das Drehbuch ist auch als Kritik am US-Justizsystem zu verstehen

Dass The Night Of diesen Sog entwickelt, liegt aber nicht nur am Drehbuch von Steven Zaillian ( Schindlers Liste, Gangs of New York) und Richard Price ( The Wire), das das US-Justizsystem quasi nebenbei für rassistische und islamfeindliche Tendenzen kritisiert. Auch das Schauspielensemble ragt heraus. Vor allem Turturro ist als verkrachter Anwalt Stone so liebenswert, dass man ihm sogar verzeiht, wenn er in den unpassendsten Momenten an seinem juckenden Exzem an den Füßen herumschubbert.

Dabei war jedenfalls John Turturro ( Barton Fink) nur dritte Wahl. Ursprünglich sollte dessen Freund James Gandolfini ( The Sopranos) den Anwalt Stone spielen; der Pilot war schon gedreht, als er 2013 überraschend starb. Dann sollte Robert De Niro einspringen, musste aber wegen Terminschwierigkeiten wieder absagen. "Wir erzählen unsere Geschichte, Sie erzählen ihre", erklärt Stone in der Serie seinem Mandanten. "Am Ende wählen die Geschworenen die aus, die ihnen besser gefällt." Für die Zuschauer gilt das letztlich auch - nur haben die den Vorteil, dass sie kein Urteil fällen müssen.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2017
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