Süddeutsche Zeitung

Nachtkritik "Germany's Next Topmodel":Modernes Selbstmarketing statt "Wasch-Deine-Make-up-Pinsel"-Drill

Lesezeit: 3 min

Modelmatrone Klum geht mit der Zeit und inszeniert sich als Botschafterin der Diversität. Und tatsächlich ist die Kandidatinnen-Schar vielfältiger als im letzten Jahr. Das Leben im Heidi-Kosmos bleibt trotzdem eine Schlacht.

Von Julia Werner

Seit der ersten Staffel von "Germany's Next Topmodel" im Jahr 2006 hat sich viel getan im Diskurs über weibliche Schönheitsideale. Es geht längst nicht mehr nur um die auf den Laufstegen überproportional repräsentierte weiße Haut, sondern um Körperformen oder auch vermeintliche Makel aller Art, die im Zuge der Body-Positivity-Bewegung allesamt als gleichschön angesehen werden sollen. Es ist natürlich trotzdem kein Wunder, dass gestern die 16. Runde von Heidi Klums vielkritisierter Modelsuche angelaufen ist. Denn dieser Medienprofi ist ja nicht blöd.

Gleich zu Beginn inszeniert sich die Modelmatrone als Botschafterin der Diversität. Und es stimmt: Die Teilnehmerinnen-Schar, die wegen der Pandemie diesmal nicht von Los Angeles aus um die Welt reist, sondern von Berlin aus nach Berlin, ist noch mal eine Nummer vielfältiger als im letzten Jahr. Es gibt kurvige, kleine, große Frauen, raspelkurze Haare und Braids, Narben und eine Behinderung.

Nach und nach werden die "Mädchen" vorgestellt, und sie haben interessante Geschichten: die Influencerin Romina erzählt, sie habe sich früher zu sehr von Social Media beeinflussen lassen, Kurven gewollt, zehn Kilo zugenommen und die Lippen aufspritzen lassen. Am Ende habe sie sich hässlich gefunden. Jetzt erst sei sie sie selbst. Maria ist die erste gehörlose GNTM-Kandidatin und im wahren Leben Buchbinderin.

Soulin ist mit ihrer Familie aus Syrien geflohen und hat gerade Abitur gemacht (und nein, GNTM ist sich nicht zu schade, Bombardierungsszenen mit staubbedeckten Kindern einzuspielen). Chanel aus Oer-Erkenschwick hat ein bildhübsches Gesicht und aufgrund einer Morbus-Crohn-Erkrankung schwere Narben an ihrem Körper und macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Und Dasha ist weit entfernt von konventionellen Modelmaßen, aber ziemlich zufrieden mit sich. Sie hat sich von der Curvy-Kandidatin des letzten Jahres zur Teilnahme inspirieren lassen.

Es steht also außer Frage, dass diese Show Einfluss hat auf ihre jungen Zuschauerinnen. Dass es keine Idealmaße mehr gibt und auch keinen "Wasch-Deine-Make-up-Pinsel"-Drill, ist zunächst mal eine gute Botschaft. Warum diese jungen Frauen, von denen einige alles andere als schwachsinnig erscheinen, von einem Business träumen, in denen all ihre bisherigen Errungenschaften komplett irrelevant werden - es bleibt ein Mysterium. Aber natürlich sind auch ein paar dabei, die man als konventionelle Schönheiten bezeichnen würde.

Diese jungen Frauen wissen genau, was sie tun

"Mich macht besonders, dass ich in einem Dorf aufgewachsen bin, wo es mehr Kühe gibt als Einwohner", sagt Lena in einem Einspieler aus ihrer Heimat. Und dass ihre Natürlichkeit ein Vorteil sei, weil sie sie wandelbar mache. Dann steht sie auf dem Feldweg und lächelt so professionell in die Kamera wie Naomi Campbell vor der Linse von Mario Testino. Und schon ist der beliebten Geschichte vom Landei, das die Welt erobert, alle Unschuld geraubt.

Es ist ein Eindruck, der sich durch die ganze Folge zieht: Diese jungen Frauen wissen genau, was sie tun. Sie sind keine schüchternen Rohdiamanten mehr, die zu Models geschliffen werden. Sie beherrschen modernes Selbstmarketing. Und das ist die schlechte Botschaft von GNTM: dass die eigene Geschichte nur dann einen Wert hat, wenn man sie gewinnbringend ausschlachtet. Ansonsten ist das Leben im Heidi-Kosmos sowieso weiterhin eine Schlacht: bereits beim ersten "Walk" werden die Kandidatinnen in Extrem-Heels eine Treppe runtergejagt. Eine Kandidatin, die beim Anblick von Heidi in Ohnmacht fiel, ist fest entschlossen, ihr jetzt zu zeigen, dass sie "kein Schwächling" ist.

Dem Co-Juroren, dem Designer Manfred Mugler, rutscht beim Aufrufen einer Kandidatin dann auch noch ein "exotic girl" raus. Das und die extrem tiefen Ausschnitte von Heidi, gepaart mit ihrem Witz, sie würde mit ihren Brüsten lächeln, lässt die beiden vor dem Hintergrund dieser Next-Generation-Medienprofi-Schar plötzlich ziemlich alt aussehen.

Nichts gegen Brüste und schöne Beine. Und nichts gegen den bereits in den ersten Minuten angekündigten Nacktwalk, der uns in den nächsten Wochen erwartet. Aber bei der Kernmessage zu bleiben, nämlich dass nackte Haut immer noch die härteste Währung im Business ist, wäre wenigstens ehrlich gewesen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5195948
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.