Süddeutsche Zeitung

Frankreich und die Medienwächter:TV-Sender müssen Rügen verlesen

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Premiere im französischen TV: Die bekannte Nachrichten-Moderatorin des Großsenders TF1 muss drei Rügen der Medienwächter verlesen.

Victor Henle

Eine solche Premiere hat das französische Fernsehen noch nicht erlebt. Am vorigen Sonntag hatte die Star-Moderatorin Claire Chazal am Ende der Nachrichtensendung auf TF1, dem größten TV-Sender des Landes, einen besonderen Auftritt.

Die attraktive Journalistin sprach sechs spröde Sätze, die mit streng administrativ-juristischem Duktus den Charme einer Aktennotiz hatten. Claire Chazal, die mit dem in Frankreich noch bekannteren Moderator Patrick Poivre d'Avor einen Sohn hat, hob unvermittelt an: "Und nun eine Mitteilung des CSA".

Der CSA das ist ein Ratsgremium aus neun ehrenwerten und gewichtigen Männer und Frauen, das über den öffentlichen und privaten Rundfunk wacht. Nach langer Überlegungszeit war der Rat zur Tat geschritten. Er verlangte die Verlesung von Beanstandungen - weil grundlegende Anforderungen bei der Verifizierung des Nachrichtenmaterials nicht beachtet worden seien. Und das innerhalb von acht Tagen und ohne jede Kommentierung.

TF1 wird vom Gesellschafter Martin Bouygues dominiert. Der Bau-Tycoon mit dem Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy freundschaftlich verbunden ist. Doch der mächtige Bouygues fügte sich und steuerte zum drögen Behördentext eine Visualisierung mit Bildern vom CSA-Amtssitz in einem hässlichen Hochhaus am Seine-Ufer bei.

Beim Privatsender TF1 hatte der CSA drei Gründe für eine Beanstandung gefunden. Die erste richtete sich gegen einen Bericht über den Amoklauf in Winnenden, weil der Täter mit falschem Namen und falschen Fotos gezeigt wurde; sie waren einem vorangegangenen Unterhaltungsmagazin entnommen worden.

Im zweiten Fall unterlegte die Redaktion einen Beitrag zu dem umstrittenen Internetgesetz Hadopi, das illegalen Download mit Bußgeld und Sperre bestraft, mit einem Film, der die vollbesetzte französische Nationalversammlung zeigt. Während bei der Beratung dieses Gesetzes waren jedoch gerade mal 16 Mitglieder anwesend. Der dritte Fall schließlich betraf eine Tagung der "Vereinigung der Muslime Frankreichs" - hie hatte TF1 fälschlicherweise berichtet, sie habe getrennt nach Männern und Frauen stattgefunden.

"Erstaunlich, schockierend, unangemessen"

Ganz anders als TF1 reagierte der zweitgrößte französische Sender Canal Plus auf eine zur gleichen Zeit erlassene Beanstandung. Generaldirektor Rodolphe Belmer bezeichnete sie als "erstaunlich, schockierend und unangemessen".

Grund für den Ärger ist, dass Canal Plus den Fehler bereits in der folgenden Sendung ausdrücklich korrigiert hatte - sogar mit einer Gegenüberstellung der falschen und der richtigen Sequenz auf geteiltem Bildschirm. Auch die Gewerkschaft für audiovisuelle Angestellte verurteilte die CSA-Maßnahme - sie sei eine inakzeptable Einmischung in die journalistische Freiheit und Verantwortung.

Der beanstandete Beitrag im sonntäglichen Nachrichtenmagazin bezog sich auf die Bewerbung des Präsidenten-Sohns Jean Sarkozy für den Vorsitz im Verwaltungsrat der staatlichen Entwicklungsgesellschaft für das Pariser Büroviertel La Défense. Die Kandidatur hatte in Frankreich eine heftige Kontroverse über modernen Nepotismus ausgelöst.

Zur Illustration setzte Canal plus Filmmaterial ein, das als Auszug aus einer deutschen Nachrichtensendung angekündigt wurde. In Wahrheit hatte ein Deutscher das Sarko-Thema im Internet parodistisch aufgearbeitet.

Doch der eifrige CSA hat bei der Exekution ein Problem: Das betroffene Nachrichtenmagazin von Canal Plus sendet derzeit nicht, weil in Frankreich Regionalwahlen laufen - und solche Sendungen die Wähler beeinflussen könnten. Deshalb sind sie ausgesetzt. Und so ging die Fristsetzung des CSA von acht Tagen ins Leere.

Am 28. März ist es dann aber soweit. Dann liest Canal Plus Bürokraten-Französisch vor.

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