Süddeutsche Zeitung

Serien:Die Mördermaschine im Wohnzimmer

Lesezeit: 3 min

Nach Mr. Big aus "Sex and the City" hat diesmal Mike "Wag" Wagner aus "Billions" eine Herzattacke nach einem Work-out auf einem Peloton-Heimtrainer erlitten. Was sagt uns das?

Von Philipp Bovermann

Den Job von Dara Treseder, die den Bereich Marketing und Kommunikation bei Peloton leitet, möchte man derzeit wirklich nicht haben. Am vergangenen Freitag musste sie ihren Chefs melden, dass es schon wieder passiert ist: Schon wieder ist eine Figur aus einer TV-Serie auf einen der von Peloton hergestellten Fahrrad-Ergometer gestiegen und hat einen Herzinfarkt erlitten.

Im vergangenen Monat brach der Börsenkurs des derzeit ohnehin durch sinkende Verkaufszahlen angeschlagenen Sportgeräteherstellers ein. Mr. Big, Objekt der Begierde aus Sex and the City, inzwischen gealtert, hatte zu Beginn der neuen Staffel sein Peloton-Work-out nicht überlebt. Am Freitag startete nun die neue Staffel von Billions, einer Serie über skrupellose Hedgefonds-Manager. Einer von ihnen, Mike "Wag" Wagner, trägt einen Ring, in dem Sensoren heimlich seine Herzfrequenz überwachen und an seinen neuen Boss übermitteln. Der steht zusammen mit einem Mitarbeiter vor einem Monitor und sieht sich an, was sich da auf der gezackten Kurve zusammenbraut. "Sex. Er hat Sex", sagt er, aber der Mitarbeiter ist nicht überzeugt. Für ihn sehe das eher nach einer Herzattacke aus. Kurz darauf klopfen zwei Polizisten an der Wohnungstür von "Wag", der verschwitzt von seinem Peloton steigt, um ihn ins rettende Krankenhaus zu bringen.

Das Teufelsgerät! Fast hätte es wieder zugeschlagen. Fast hätte es uns "Wag" geraubt - wären da nicht die technischen Möglichkeiten des digitalen Überwachungskapitalismus. Was täten wir nur ohne sie.

Irgendwas Teuflisches geht mit den hippen Elektro-Tretmühlen vor sich

Peloton sagte der New York Times, die Firma habe vorab nichts von der Szene gewusst. Es betonte "die deutlichen Vorzüge von Herz-Kreislauf-Ausdauertraining, damit Menschen lange, glückliche Leben führen können" - so wie damals bei der Sache mit Mr. Big. Peloton ließ nach dessen Serientod in einem Statement eine Kardiologin spekulieren, nicht der Sport habe ihn umgebracht, sondern die Zigarren, die Cocktails, die Steaks, kurz: seine "Lebensgewohnheiten und vielleicht sogar seine familiäre Vorgeschichte". Außerdem produzierte das Unternehmen damals eilig ein Video mit Chris Noth, dem Darsteller von Mr. Big. In dem Clip (der kurz darauf offline ging, nachdem zwei Frauen Noth sexueller Übergriffe beschuldigt hatten) sitzt Mr. Big putzmunter auf einer Couch vor einem Kaminfeuer und fragt eine Peloton-Trainerin, ob sie noch eine Runde drehen wolle. Sport ist gesund, so die Botschaft. Peloton tötet nicht.

Zumindest im echten Leben ist das wohl so. Im Bereich der Fiktion hingegen verdichten sich die Hinweise, dass irgendwas Teuflisches mit den hippen Elektro-Tretmühlen vor sich geht. Zumal die Produzenten von Billions in einem Statement beteuern, dass die Szenen bereits im vergangenen Frühjahr gedreht worden seien, lange vor der Ausstrahlung der Fortsetzung von Sex and the City; erst nachträglich sei die Anspielung eingefügt worden, dass "Wag" sagt, er werde "nicht abtreten wie Mr. Big".

Offenbar lag da etwas in der Luft. Vielleicht hat es damit zu tun, dass das Peloton zu einem Symbol der erzwungenen Häuslichkeit in der Pandemie geworden ist, komplementär zur Maske. Draußen FFP2, drinnen hecheln auf dem Peloton. Als die Fitnessstudios schlossen, stellten sich viele Menschen die smarten Heimtrainer ins Wohnzimmer, um über deren Bildschirme mit anderen Kalorienverbrennern virtuelle Radrennen zu fahren. Man strampelt also allein zu Hause, die Welt da draußen schrumpelt zu einer Art Computerspiel zusammen, aber statt dass sich die im Frühjahr 2020 versprochene Entschleunigung einstellt, feuert einen die von irgendwo auf der Welt zugeschaltete Trainerin an: Go! Nur ein Stückchen noch! Gleich geschafft! Jetzt noch mal alles geben! Mehr Pandemie-Blues geht nicht.

Mr. Big trainierte noch standesgemäß in einem geräumigen Zimmer, bei "Wag" hingegen sind die Wände schon näher gerückt. Ein bisschen enger noch, und er kriegt keine Luft mehr. Druck auf der Brust. Nur raus hier. Die Rettung durch die zwei Polizisten (die er für Stripper hält) kommt gerade noch rechtzeitig.

Eine Herzoperation später steht er wieder im Büro, seine Mitarbeiter klatschen, einer ruft: "Er lebt!" Genauso müsste der Empfang zurück in der Normalität aussehen, wenn die Pandemie dann irgendwann doch mal vorbei ist - aber natürlich wird es viel profaner sein. Ach, was sind wir ausgepowert.

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