Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Heimat - mehr als ein Frühstücksbrettchen

Lesezeit: 2 min

Eine Dokumentation macht sich auf die Suche nach einem Begriff, der längst durchgenudelt zu sein scheint - und trotzdem komplex bleibt.

Von Kathrin Müller-Lancé

Das Neubaugebiet Köln-Widdersdorf gleicht einem Bienenstock mit seinen zahlreichen Häuschen, die wie Waben aneinandergereiht sind. Konsequenterweise zeigt der Film am Anfang den Hobbyimker Axel Jenniges bei seiner Arbeit, beschrieben wird er mit den Worten: "Lieber hielte er es wie seine Bienen, die bleiben unter sich - vier Völker, vier Stöcke." Jenniges wohnt seit Jahrzehnten in dem Kölner Wohngebiet, anders als die meisten, die erst neu hinzugezogen sind. Er ist einer der Protagonisten dieser Dokumentation, die sich Heimatland - oder die Frage, wer dazugehört  nennt.

Auf den ersten Blick scheint das Wort "Heimat" ja längst durchgenudelt, spätestens seit es gefilzte Schlüsselanhänger und Frühstücksbrettchen mit entsprechender Aufschrift gibt. Sogar ein Ministerium schmückt sich mittlerweile mit diesem Namenszusatz. Der Film jedoch zeigt sehr gelungen, dass der Begriff durchaus einer ausführlicheren Untersuchung würdig ist, ja, geradezu danach verlangt.

Köln-Widdersdorf illustriert im Kleinen den Konflikt, der Deutschland im Großen gerade beschäftigt: In weniger als zehn Jahren hat sich das Dorf mehr als verdoppelt, die Alteingesessenen stehen den neuen Bewohnern skeptisch gegenüber. "Ich frage mich, wo die alle herkommen", sagt einer von Jenniges Freunden, "wie sollen die einen Bezug zum Ort kriegen?" Die Bilder, die hier aufeinandertreffen, sind schon fast ein bisschen zu klischiert gegensätzlich: Auf der einen Seite die graumelierten Karnevalsfreunde, die beim gemeinsamen Grillabend zwischen Herren- und Damentisch unterscheiden ("Ich kann den Gesprächen der Frauen nicht folgen"), auf der anderen Seite die jungen Familien, oft mit migrantischem Hintergrund, die in ihrem flexiblen Leben nur für ein paar Jahre an einem Ort Station machen wollen.

Weil Widdersdorf aber eben doch nur ein Beispiel mit begrenzter Erklärungskraft bleibt, stützt sich der Film noch auf andere Quellen: Die Macher haben das mecklenburg-vorpommerische Örtchen Anklam besucht, dessen Ortskern in den letzten Jahren zwar lebendiger geworden ist, aber auch immer mehr von Rechtsextremen eingenommen wird. Sie haben mit den Komikern Kaya Yanar und Idil Baydar ("Ich werde migrantisch erzählt") gesprochen sowie mit durchaus renommierten Experten - von der Berliner Soziologie-Professorin Naika Foroutan bis hin zur ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright.

Produziert hat die Doku das Team von Docupy, einem Multimediaprojekt, hinter dem der WDR und die Produktionsfirma Bildundtonfabrik (unter anderem für das Neo Magazin Royale bekannt) stecken. Jeweils sechs Monate lang setzen sich die Reporter mit einem Thema auseinander, in der ersten Staffel ging es um Macht und Reichtum ( Ungleichland), in der zweiten geht es nun eben um Heimat. Herausgekommen ist dabei tatsächlich sehr gutes und sehr neues Fernsehen.

Die Grafiken sehen frisch aus und machen die Fakten nachvollziehbar. Die Experten sprechen den Zuschauern frontal ins Gesicht, ebenso wie die Bundespolitiker, die zum Thema befragt wurden. Der Zusammenschnitt ihrer Statements ist bisweilen überaus aufschlussreich, zum Beispiel wenn Horst Seehofer und Andreas Scheuer direkt hintereinander den titelgebenden Begriff mit der gleichen CSU-Floskel definieren: "Bayern ist meine Heimat, Deutschland mein Vaterland, und Europa meine Zukunft." Oder wenn SPD-Finanzminister Olaf Scholz auf die Frage, ob eine Regierung eine gemeinsame Vision brauche, schlicht und einfach antwortet: "Nein."

All diese unterschiedlichen Blickwinkel liefern bisweilen fast zu viel Information für die 45 Minuten Film. Aber das Thema ist nun mal komplexer, als es die Aufschrift auf den Frühstücksbrettchen vermuten lässt.

Heimatland - oder die Frage, wer dazugehört , 3Sat, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2019
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