Süddeutsche Zeitung

ARD-Serie:Tiroler Albtraum

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Ein Richter, der seinen Sohn schützen will und alles riskiert: Die Thriller-Serie "Euer Ehren" ist nicht nur wegen des grandiosen Hauptdarstellers Sebastian Koch ein Glanzstück.

Von Christian Mayer

Manche Menschen wirken nach außen souverän und auf eine Weise beherrscht, dass es fast schon überheblich ist. Nicht selten sind es erfolgreiche Männer, die den Zweifel aus ihrem Leben verbannt haben und für den Beruf leben. Sie wachsen an ihren Aufgaben, bis irgendwann der Tag kommt, an dem ein unerwartetes Ereignis die Dinge aus dem Lot bringt. So ein Mann ist der Richter Michael Jacobi, er gilt als unbestechlich, eine Instanz. Und so tritt er auch auf im ersten Teil der von ARD und ORF koproduzierten Serie Euer Ehren (Regie David Nawrath): Man schätzt diesen Juristen, der sich als Hüter der Rechtsstaatlichkeit einen Namen gemacht und einen prominenten serbischen Clanchef zu einer hohen Haftstrafe verurteilt hat; man geht ihm im Zweifel aber aus dem Weg. Respekt sollte man keineswegs mit Zuneigung verwechseln.

Eine erste Irritation deutet sich an, als Richter Jacobi beim Verlassen des Gerichtsgebäudes plötzlich einen schwarzen Fleck auf seinem blütenweißen Hemd hat. Der Füllfederhalter ist ausgelaufen, was Jacobi zu einer hektischen Aktivität am Waschbecken animiert - aber der Fleck will einfach nicht weichen. Das war's aber schon mit der Metaphorik, denn von jetzt an geht alles rasend schnell.

Von einer Sekunde auf die nächste gerät das Selbstbild des Richters aus den Fugen, als sein Sohn, gerade volljährig, mit dem Auto einen Motorradfahrer überfährt und Fahrerflucht begeht: Das Opfer ist ausgerechnet der Sohn des serbischen Mafiabosses, den Jacobi ins Gefängnis gebracht hat. Dem Richter fährt der Schreck in die Glieder, als ihm der verstockte Teenager die Tat gesteht. Jacobi weiß, dass die Serben eine Rechnung offen haben. Sie werden ihn und seinen Sohn vernichten, sobald die Wahrheit ans Licht kommt.

Jacobi ist von Angst getrieben - und wild entschlossen, Herr des Geschehens zu bleiben

Was für ein Glückfall für diesen Sechsteiler, dass Sebastian Koch ein verdammt kluger Schauspieler ist, ein Meister der Nuancen und der psychologischen Feinjustierung: In seinem Gesicht zeichnet sich die ganze existentielle Erschütterung, die nackte Angst ab - Jacobis Frau hat sich vor Jahren das Leben genommen, der Sohn ist alles, was er noch hat, außer der Karriere. Und zugleich ist da diese wilde Entschlossenheit, noch Herr der Geschehens zu bleiben, ein nur mühsam unterdrückter Drang zur Selbstzerstörung, fast wie in einem Shakespeare-Stück. Richter Jacobi entscheidet sich für das Risiko und agiert immer hektischer, er legt falsche Fährten, verwischt die Spuren und nötigt seinen Sohn Julian zum Schweigen. "Du hast keine Ahnung, wie schwer es ist, Dinge für sich zu behalten", sagt Jacobi halb flehend, halb drohend. Omertà, das Prinzip der ehrenwerten Gesellschaft.

Schon die israelische Thriller-Serie Kvodo mit einem Richter, der für seinen Sohn alles aufs Spiel setzt, war ein viel beachteter Publikumserfolg. Nach diesem Original verfing sich dann auch Bryan Cranston im US-Remake Your Honor in einem immer dichteren Lügennetz. Nun versucht sich also die deutsch-österreichische Produktion Euer Ehren an dem Vater-Sohn-Drama. Schauplatz ist das von hohen Bergen umgebene Innsbruck, wo neben dem serbischen Clan eine zweite lokale Mafia Geschäfte macht, angeführt von einem bestens in der Politik vernetzten Fleischgroßhändler (Tobias Moretti). Richter Jacobis gescheiterter Versuch, das beschädigte Unfallauto heimlich zu entsorgen, löst eine Kettenreaktion aus, es beginnt ein blutiger Bandenkrieg.

Auch in den Nebenrollen ist der Sechsteiler großartig besetzt: Ursula Strauss ist als Kommissarin die unerschrockene Gegenspielerin des immer nervöseren Richters, Paula Beer zeigt als Tochter des Clanchefs finstere Entschlossenheit, der junge Taddeo Kufus überzeugt als sensibler Richtersohn, der gerne die Wahrheit sagen würde, aber nicht kann. Beängstigend gut auch Gerti Drassl als Oberhaupt einer Familie von verwahrlosten Kleinkriminellen, die zurückgezogen an einem Berghang haust - auch diese Mutter will nur das Beste für ihre Söhne, auch sie trifft die falschen Entscheidungen. Es gehört zu den Stärken des Drehbuchs von David Marian und David Nawrath, dass sich die sozialen Milieus zunehmend verknoten, bis man die Abgehängten am untersten Rand nicht mehr von den Leuten mit Geld, Einfluss und Status unterscheiden kann. Letztere sitzen in ihren Hightech-Domizilen und schauen aufs Display der Überwachungskameras. Aber ein Leben in Sicherheit? Gibt's nicht.

Kann man sich dem Rachekartell entziehen? "Du sollst frei sein, deine Kinder sollen auch frei sein", sagt der serbische Patron zu seiner Tochter, die sich dann aber doch ganz in den Dienst der Familie stellt - die Szene, wo sie die arrogante Mutter ihres glatt gebürsteten Lebensgefährten im Gourmetrestaurant mit dem Steakmesser bedroht, gehört zu den einprägsamsten dieser Serie.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Szenerie in Euer Ehren öfter an die Sky-Produktion Der Pass erinnert, ebenfalls ein düsterer Thriller im Grenzgebiet des Verbrechens. Die nächtlichen Fahrten auf der Brenner-Autobahn, die häufigen Wetterwechsel in der kargen Winterlandschaft, die tödlichen Rendezvous im dichten Bergwald sind das Gegenbild zur Bergdoktor-Idylle. Dieses Tirol ist Hightech-Standort und Bauernland, nach außen scheißfreundlich und zugleich total verkorkst. Ein Albtraum, aber absolut hinreißend.

Euer Ehren , Samstag, 9. April, 20.15 Uhr in der ARD (Folgen 1 bis 4), Sonntag, 10. April, 21.45 Uhr (Folgen 5 und 6). Ab 2. April in der ARD-Mediathek.

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