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Kontroverse um Jeffrey Toobin:Der Scherbenhaufen nach der Scham

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Der Starjournalist Jeffrey Toobin hat während einer Zoom-Sitzung des "New Yorker" offenkundig masturbiert. Wie eine einmalige Blamage eine große Karriere zerstörte.

Von Susan Vahabzadeh

Vor Gericht ist der Jurist Jeffrey Toobin nach seinem Studium an der Harvard Law School nicht lange zu sehen gewesen. Schon seit den Neunzigern ist er eher ein juristischer Publizist als ein Anwalt - einer, der im Fernsehen das Recht erklärt, oder eben im Magazin New Yorker, dessen Redaktion er zwanzig Jahre lang angehörte. Er schrieb über O. J. Simpsons Prozess, und sein Buch wurde sogar verfilmt; er begleitete auf CNN, temperamentvoll und leidenschaftlich, die diversen Kollisionen des amtierenden Präsidenten Donald Trump mit dem geltenden Recht. Jetzt, bei dem legalen Spektakel nach der Wahl, redet Toobin nicht mehr mit. Im September war Jeffrey Toobin noch ein respektierter Rechtsexperte. Jetzt ist er arbeitslos.

Toobin war, wie die SZ berichtete, beim New Yorker suspendiert worden, nachdem er im Oktober in einem internen Zoom-Meeting ein bisschen zu viel von sich preisgab - die meisten amerikanischen Medien belassen es bei der Umschreibung, Toobin habe sich entblößt, dem Vernehmen nach hat er masturbiert. Aus Versehen, sagt Toobin, er habe gedacht, die Kamera sei ausgeschaltet - der Verlag Condé Nast, in dem der New Yorker erscheint, gab am Mittwoch bekannt, man habe die Untersuchung des Falls nun abgeschlossen und sich von Toobin getrennt. Der Nachrichtensender CNN hat ihn nach dem Vorfall ebenfalls suspendiert, und vielleicht wird er auch da nie wieder aus der Versenkung auftauchen. Und Twitter strafte den ohnehin zutiefst zerknirschten Mann mit der Prognose, ein "Toobin" werde auch lange nach der Pandemie noch ein Wort mit einer eigenständigen Bedeutung sein.

Die ganze Geschichte erscheint einem, aus europäischer Sicht betrachtet, ein wenig bizarr, angefangen mit der Kulisse des eigentlichen Vorfalls: Da hat nämlich die New-Yorker-Redaktion die Präsidentschaftswahl mit verteilten Rollen gespielt. Einer war Trump, einer die Republikaner, ein anderer die Demokraten, und Toobin war als "die Gerichte" dabei. Es dämmert einem, warum eine amerikanische Redaktion so etwas überhaupt macht - in der Hoffnung, ihr würden bei einem solchen Rollenspiel möglichst viele der eigenartigen Winkelzüge einfallen, mit denen der amerikanische Politikbetrieb seit vier Jahren europäische Beobachter irritiert. Während sich die Kollegen, die als "die Parteien" mitspielten, zur Beratung zurückzogen, soll sich Toobin jedenfalls so gemopst haben, dass er ganz andere Prozesse einleitete. Er wähnte sich unbeobachtet, so Toobin, der sich für den Vorfall bei seiner Familie und den Kollegen entschuldigt hat.

Ist virtueller Exhibitionismus aus Versehen dasselbe wie ein sexueller Übergriff? Für diese Diskussion ist kein Platz mehr

Toobin verkündete auf Twitter selbst, er sei "gefeuert" worden, bleibe seinem Blatt aber dennoch verbunden. Amerikanischen Medien liegt das Memo vor, in dem beim New Yorker die Trennung von Toobin bekannt gegeben wurde - sie sei das Ergebnis der Untersuchung, die die Personalabteilung vornahm. Was sonst an Ergebnissen dabei herauskam - ob nämlich gegen Toobin dabei noch andere, schwerwiegendere Vorwürfe zutage getreten sind oder an seiner Darstellung, es habe sich um ein Versehen gehandelt, Zweifel bestehen -, scheint nicht darin zu stehen. Die Washington Post beispielsweise bedauert in einem Kommentar den Verlust von Toobins Stimme - stellt aber die Begründung für den Rauswurf nicht infrage. Zumindest für einen Teil der US-Bevölkerung wäre ein solcher Vorgang ganz normal - da scheint gar kein Platz mehr zu sein für eine Diskussion, ob virtueller Exhibitionismus aus Versehen dasselbe ist wie ein sexueller Übergriff im Büro.

Ist es also eine Kündigung wegen Peinlichkeit? Man kann das vielleicht verstehen - bei CNN kann man bestimmt darauf verzichten, dass weite Teile des Publikums bei hitzigen Debatten über Trumps juristische Attacken auf den Ausgang der Wahl kaum zuhören können, weil ihnen die falschen Bilder vor dem inneren Auge erscheinen. Beim New Yorker sollte man allerdings meinen, dass die Leserschaft Zeit genug hat, diese Bilder beiseitezuschieben.

Toobins Rauswurf ist vielleicht unverhältnismäßig, sicher keine Zensur - es muss beiden Medien freistehen, jemandem zu kündigen, weil sie finden, er schade dem Ansehen des Unternehmens oder auch nur der Rezeption der Inhalte, die er eigentlich an die Leser und Zuschauer bringen soll. Aber wenn sich einer bloß blamiert hat, sollte er nicht gleich vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz stehen.

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