Süddeutsche Zeitung

Doku-Serie:Die Brüder und der Terror

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Die Doku von Jules und Gédéon Naudet über den 11. September ging um die Welt. Nun rekonstruieren sie für Netflix den "Angriff auf Paris" vom 15. November 2015.

Von Karoline Meta Beisel

An einem Dienstag im September 2001 wurden die Brüder Jules und Gédéon Naudet - und mit ihnen die ganze Welt - zufällig Augenzeugen der Geschichte. Die französischen Filmemacher waren morgens aufgebrochen, um einen jungen Feuerwehrmann bei der Arbeit in Manhattan zu filmen. Abends hatten sie den verheerendsten Terroranschlag der Geschichte auf Band. Ihr Film 9/11 - Die letzten Stunden im World Trade Center mit seinen einzigartigen Aufnahmen aus dem Nordturm ging um die Welt und wurde vielfach ausgezeichnet; die Kamera, mit der der jüngere Jules filmte, wie das erste Flugzeug in den Nordturm flog, ist heute im National Museum of American History in Washington D.C. ausgestellt.

Jetzt haben die französischen Brüder wieder einen Film über einen Terroranschlag gemacht: 13. November: Angriff auf Paris; ein Film über jenen Freitag vor zweieinhalb Jahren, als islamistische Terroristen an verschiedenen Orten in Paris und der Vorstadt Saint-Denis insgesamt 130 Menschen töteten und viele weitere verletzten. Der Film ist bei Netflix zu sehen, die Idee dazu hatten die Brüder aber selbst, die ihr Projekt mit voller Absicht bei einem Streamingdienst - und nicht etwa im klassischen Fernsehen - unterbringen wollten; weil die Zuschauer dort mehr Kontrolle haben, selbst entscheiden können, wann sie wie viel davon sehen wollen. "Wenn sie bei dem schwierigen Stoff eine Pause machen müssen, oder ihn nicht am Stück sehen wollen, dann können sie das machen", sagten sie dem französischen Figaro.

Für 13. November - eine Doku-Miniserie aus drei Episoden - haben die Naudets mehr als 40 Personen interviewt und aus diesen Gesprächen eine Art Chronik des Geschehens montiert, wie man sie nach Amokläufen oder Terroranschlägen auch aus Zeitungen und Zeitschriften kennt. Von der Form her ist dieses neue Werk nicht so außergewöhnlich wie es die 9/11-Doku damals war. Außergewöhnlich ist aber die Menge an Augenzeugen, Betroffenen, Rettungskräften, die für dieses Filmprojekt erstmals bereit waren, ihre Version dieses Abends zu erzählen: Sicherheitskräfte aus dem Stade de France, vor dem sich ein Mann in die Luft sprengte; Gäste aus den Cafés, in denen die Terroristen um sich schossen, Besucher aus dem Konzertsaal Bataclan, Politiker wie François Hollande oder die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo.

Auch eine noch sehr junge Feuerwehrfrau aus der Wache Parmentier im elften Arrondissement ist darunter. Als habe das Universum eine kleine Schleife geflogen, hatte auch sie an diesem Abend ein Fernsehteam an ihrer Seite, das eigentlich den Alltag der Feuerwehr dokumentieren wollte. Im Film sieht man Ausschnitte aus diesen Aufnahmen. Sie entfalten dieselbe schaurige Kraft wie die Bilder, die die Naudets 2001 für die Nachwelt festhielten.

Insgesamt aber ist in der Doku sehr zurückhaltend mit Filmmaterial von diesem Abend. Statt wackliger Handyvideos oder Fernsehberichte sieht man zwischen den Interviewpassagen Fotos oder ruhige, oft sogar ganz unbewegte Aufnahmen der Tatorte, wie sie nachts menschenleer und friedlich daliegen. Gelegentlich - etwa beim Bataclan - hilft eine Grafik, sich am Ort des Geschehens zu orientieren.

So ist aus 13. November ein Film der Hinterbliebenen geworden. Ein größerer Kontrast zu 9/11, der die Naudets gerade wegen seiner Bilder berühmt machte, ist kaum denkbar. "Wir wollten so wenige Bilder wie möglich aus dieser Nacht benutzen", erklären die Filmemacher: "Wir lehnen Sensationalismus ab".

Ganz gelungen ist das nicht. Die erste Episode, die sich dem Geschehen am Stade de France und in den Cafés widmet, endet mit einem Cliffhanger - Tonaufnahmen der ersten Schüsse im Bataclan, wo die Eagles of Death Metal ein Rockkonzert spielten. Das ist nicht nur unanständig, sondern auch unnötig, da die nächste Episode ja ganz automatisch in 3...2...1... Sekunden beginnt.

In Folge zwei und drei werden - wiederum anhand ausführlicher Schilderungen von Augenzeugen - die Schüsse im Bataclan und der anschließende Polizeieinsatz rekonstruiert; vor allem die mehr als zweieinhalb Stunden, in denen sich die Attentäter mit Geiseln im ersten Stock des Bataclan verschanzt hielten. Wie die ausführlichen Schilderungen der Überlebenden und der Einsatzkräfte zusammengeschnitten sind, macht den Film an diesen Stellen spannend wie einen Krimi.

Insgesamt aber dürfte dieses Werk den Opfern und Hinterbliebenen wohl eher gerecht werden, als ein vorheriger Versuch, das Geschehen zu einem schmissigen Fernsehfilm zu verwursten: Ce soir-là (etwa: Jener Abend) sollte die "unmögliche Liebesgeschichte" zweier Fremder erzählen, die sich kennenlernen, als sie gemeinsam Verwundete aus dem Bataclan versorgen. Der Film mit Sandrine Bonnaire in der Hauptrolle war schon abgedreht - aber nach Protesten von Opferverbänden musste der Sender France 2 das Projekt auf Eis legen.

13. November - Anschlag auf Paris , Netflix.

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SZ vom 02.06.2018
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