Süddeutsche Zeitung

Trittbrettfahrer:Falscher Relotius bietet Interviews an

Lesezeit: 1 min

Von David Denk

Der Relotius-Skandal ist um einen Betrüger reicher. Ein Unbekannter hat sich Hörfunksendern gegenüber, darunter Radio Eins (RBB) sowie Antenne Bayern, als Claas Relotius ausgegeben und per Mail ein Interview angeboten: "Inzwischen kann ich mir vorstellen, (...) zu allen Vorwürfen Stellung zu nehmen und über meine Arbeit beim Spiegel wie auch über meine Zukunft (u.a. ein Buchprojekt) zu sprechen."

Der echte Reporter Relotius, dessen Fälschungen im Spiegel und anderen Medien im Dezember publik wurden, "beabsichtigt derzeit keinerlei öffentliche Auftritte oder Interviews zu erteilen", zitiert Zapp vom NDR seinen Anwalt. An Aussehen und Stimme in einem Verifizierungs-Video sei "leicht erkennbar, dass es sich um einen Dritten handelt", sagte Michael Philippi von der Kanzlei Unverzagt von Have. Antenne Bayern ging zum Schein auf das Angebot ein, auch wenn man "sofort an der Glaubwürdigkeit gezweifelt" habe, so Programmdirektorin Ina Tenz; gleiches gilt für Radio Eins: Im Vorgespräch bescheinigte der falsche Relotius Reportage-Fälschungen laut Sender ein "gewisses System". Im Interview sagte er dann, es könne "gar nicht wild genug sein, nicht wahr? Deswegen war ich auch der richtige Mann."

Als Spiegel-Vize Susanne Beyer zugeschaltet wurde, legte der Unbekannte auf. "Wir hören seit ein paar Tagen von einem Herren, der sich als Claas Relotius ausgibt", sagte Beyer. Doch Fotos, auf denen ein Mann mit Mütze einen auf den früheren Spiegel-Reporter ausgestellten Presseausweis in der Hand halte, zeigten "nicht den Claas Relotius, den wir kennen". Antenne Bayern stellte der SZ ein Video des Mützenmanns zur Verfügung: "Hallo, hier ist Claas Relotius, hier mein Presseausweis fürs Interview mit Antenne Bayern." Diese Sequenz habe den Fake "final bestätigt", so Programmchefin Tenz.

Die Motive des Trittbrettfahrers sind bislang unklar. Bei Radio Eins entschied man sich, Ausschnitte und ein einordnendes Kollegengespräch zu senden, nicht den ganzen Interviewversuch. "Wir wollten selber kein Material liefern, das im Netz leicht verfälscht werden könnte", sagte Senderchef Robert Skuppin. Satiriker, etwa des Magazins Titanic, haben jüngst versucht, mit Fakes Medien zu narren, aber auch Rechtspopulisten könnten ein Interesse daran haben, dass etablierte Medien auf Fälschungen hereinfallen.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2019
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