Süddeutsche Zeitung

Christina Große:Kampf klingt anders

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In der Serie "Das Institut" spielt sie eine Frau, die an Ignoranz und Selbstüberschätzung kaum zu überbieten ist. Zuvor war sie Witwe, Autistin, Lügnerin oder Gerichtsmedizinerin. Und wie ist Christina Große selbst?

Von Kathrin Hollmer

Man kennt Christina Große als krankhafte Lügnerin, als Ehefrau eines Alkoholikers, als verzweifelte Witwe und Mutter. Es reicht schon, ab und zu fernzuschauen, um ihr Gesicht schon mal gesehen zu haben. Und trotzdem ist sie eine von denen, die man auf der Straße nicht erkennt.

Christina Große spielt Dramen ohne Drama, aber mit entwaffnendem Ernst, und Komödien mit umwerfend subtilem Humor. In Kinofilmen wie Für Elise, in TV-Krimis und Serien. Ihre Spezialität sind Frauen, die es nicht leicht haben im Leben. Frauen, die kämpfen. Was aber hat das mit dem Menschen hinter den Rollen zu tun?

Christina Große, 48, ist nach München gereist, sie empfängt in der Lobby eines Hotels in Schwabing, auch hier wird sie nicht erkannt, kann in Ruhe erzählen. Sie sei eine schlechte Kämpferin, sagt sie.

Sie wuchs in Saalfeld in Thüringen auf und wollte Kinderärztin oder Psychologin werden, durfte aber nicht auf die Erweiterte Oberschule gehen. "Als Tochter eines Pfarrers war ich für die Zulassung zum Abitur gesellschaftlich nicht tragfähig, ich war nicht bei den Pionieren oder in der FDJ", sagt sie. Um gleich zu relativieren: "Jeder hat seine eigene DDR erlebt. Angela Merkel durfte als Pfarrerstochter Abitur machen und studieren."

Nach der Schule machte sie eine Ausbildung als Psychiatriediakonin bei der evangelischen Kirche, als Erzieherin für Menschen mit Behinderung, in der Hoffnung, dass "man" herausfinde, was "man" mit dem Leben anfangen wolle. Große sagt ständig "man", wenn sie "ich" meint, wie Menschen es gern tun, die ihr Ich nicht zu sehr herausstellen wollen.

Beim Trampen lernte die Pfarrerstochter die Schauspielerin Deborah Kaufmann kennen

Sie erzählt leise und rasch, zupft an ihrem blauen Kleid, überschlägt die Beine nach links, nach rechts, als könnte sie die Pointe in ihrer Biografie kaum erwarten, den Zufall, durch den sie doch noch Schauspielerin wurde.

Denn eigentlich träumte sie schon als Kind von der Bühne. Der Garten des alten Pfarrhauses, in dem sie aufwuchs, grenzte ans Kino. Oft saß Große in Hörweite und lauschte den Vorstellungen. Unzählige Male ging sie in Vorstellungen, fünf oder sechs Mal in Zorro und in die Filme mit Bud Spencer und Terence Hill. Ältere Freunde mogelten sie in Die Spitzenklöpplerin mit Isabelle Huppert.

Sie las viel, verlor sich regelrecht in ihren Büchern, sie verkleidete sich gern und machte Kabarett im Schultheater. Ihre erste größere Bühne war die Kirche ihres Vaters, wo ihre Konfirmandengruppe während des Gottesdienstes bedrohte Tierarten nachmachte. Große war der Seeadler. Ein "sehr schönes Gefühl" sei das gewesen, sagt sie, aber sie habe keine Ahnung gehabt, wie man die Schauspielerei zum Beruf machen könnte. "Außerdem war es die Zeit der Friedensbewegung und ich glaubte, ich müsste etwas wirklich Sinnvolles machen."

Als sie ihren Traum längst aufgegeben hatte, lernte sie beim Trampen eine Schauspielstudentin kennen. Die junge Frau war Deborah Kaufmann, die später mit Filmen wie Der Trinker und Elementarteilchen bekannt werden sollte. Sie verriet Große, wo es in der damaligen DDR Schauspielschulen gab. Und Große bewarb sich. An der Filmhochschule Babelsberg nahm man sie sofort auf.

Wenn man Christina Große nach ihrem Studium fragt, schwärmt sie vom Theater, von der Parallelwelt, in die "man" abtaucht, probt, schläft, weiterprobt. Sie spielte zunächst am Deutschen Theater und lange am Theater 89, wo sie mehrere Angebote bekam, zwei Verträge verhandelte und doch nicht unterschrieb, weil sie sich nicht zwei Jahre lang an ein Haus binden wollte. "Bei diesen Angeboten bekam ich jedes Mal kalte Füße", sagt sie, noch etwas leiser. Filme drehte sie erst nur nebenbei, "in erster Linie als Möglichkeit zum Geldverdienen", für die Miete und die zwei Söhne, die sie damals "in einem guten Verbund mit dem Vater" aufzog.

Wenn Christina Große von ihrem Leben erzählt, ist die Schauspielerei die Hauptfigur, sie selbst eine Protagonistin. In den Neunzigern spielte sie in Krimi- und Detektivserien. Das Drehen fand sie zunehmend familienkompatibler als den Arbeitsrhythmus im Theater. Sie erinnert sich, wie sie Ende der Neunziger auf der Bühne, mitten in einer Vorstellung darüber nachdachte, dass sie die Kinderfrau kaum bezahlen kann. Morgens Proben, abends Bühne, und mit ihren Söhnen auf dem Spielplatz war sie mit den Gedanken beim Theater.

Seit damals konzentriert sie sich aufs Drehen. Und doch hat sie vor zehn Jahren ans Aufhören gedacht. Nach der Serie Der kleine Mann mit Bjarne Mädel ging sie zu vielen Castings und war immer nur die zweite Wahl. "Ich denke beim Casting nicht: Ich kann das besser als die anderen, nehmt mich!", sagt sie. "Ich weiß, die anderen können das genauso gut." Kämpferinnen klingen anders.

Sie machte weiter, weil sie keinen Plan B hatte. Und den brauchte sie auch nicht. Die Rollen wurden mehr und größer, es folgten Preise und Auszeichnungen. Dass Christina Große so hinter ihren Rollen verschwindet, macht sie zu einer Glaubwürdigkeitskünstlerin, der man alles abnimmt: die kühle Gerichtsmedizinerin im Tatort, die Asperger-Autistin im ZDF-"Herzkino" und die patente Elektronikmarkt-Kassiererin in der Familiensatire Familie Lotzmann auf den Barrikaden. Der Regisseur Axel Ranisch, der bekannt ist für seine Filme mit improvisierten Dialogen, inszenierte sie auch schon in den Tragikomödien Ich fühl mich Disco und Alki Alki. "Christina ist ein Wunder für mich und eine Königin", sagt Regisseur Ranisch über sie. "Sie spielt alles mit dem Herzen, mit Humor und Rhythmus. Nie ist sie eitel. Immer berührt sie mich. Ich will keine Filme mehr ohne sie."

"Immer berührt sie mich. Ich will keine Filme mehr ohne sie", sagt Regisseur Axel Ranisch

Großes komödiantisches Talent stellt sie auch in ihrer Paraderolle in der Comedy-Serie Das Institut unter Beweis, von der die zweite Staffel seit Donnerstag auf Magenta TV läuft. Sie spielt Dr. Anneliese Eckart, die ambitionierte Leiterin des deutschen Sprach- und Kulturinstituts, einer Parodie des Goethe-Instituts in der fiktiven Stadt Kallalabad in Kisbekistan. In einer Folge hat sie gepanschten Alkohol getrunken und sieht nichts mehr, trotzdem drängt sie sich beim Interviewtermin mit der Deutschen Welle vor, um die Zentrale in Deutschland zu beeindrucken. Ihr Ehrgeiz steigert sich Richtung Wahnsinn und gipfelt in einer Dämonenaustreibung.

"Anneliese Eckart ist eigentlich ein alter weißer Mann, in ihrer Ignoranz, Selbstüberschätzung und Art, wie sie sich selbst als Mittelpunkt der Welt sieht", beschreibt Große die Rolle. Auf der Berlinale, sagt sie, habe sie einmal ein junger Mann als Anneliese Eckart erkannt. Sie lacht. "Der hatte Angst vor mir." Sie selbst könnte nicht gegensätzlicher sein. Ständig betont sie demütig, wie viel Glück sie habe: tolle Rollen, tolle Regisseure, tolle Kollegen.

Im August ist sie im Kinofilm Petting statt Pershing zu sehen, demnächst in der zweiten Staffel der TNT-Serie Andere Eltern, im ZDF-Film Tage des letzten Schnees, der ARD-Reihe Väter - Allein zu Haus und in einem Tatort. Lockerer, sagt sie, werde sie trotzdem nicht. "Bei uns Frauen tickt eine andere Uhr als bei den Männern. Spätestens mit Mitte 50 wird's dünn, erst mit Mitte 60, wenn man eindeutig die Großmutter ist, kommen wieder mehr Angebote."

Überhaupt gebe es für Frauen in Hollywood nur naive Mädchen, Mütter und Furien zu spielen. Sie lacht. "Die naiven Mädchen hab ich übersprungen, lange Zeit war ich die Mutter", sagt sie. "Ist die Eckart meine erste Furienrolle? Und wenn ja: Wie viele kommen da noch?" Egal, Christina Große wird sich selbst so sehr zurücknehmen, dass sie auf dem Bildschirm eine überzeugende Furie sein wird.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019
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