Süddeutsche Zeitung

Berlin:Fußball und Funkstille

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Die Ausstellung "Radiophonic Spaces" zeigt Hörspielkunst und weist auf einen großen Mangel hin.

Von Stefan Fischer

Das Hören erlebt eine Renaissance. Ein Beleg dafür ist der aktuelle Podcast-Boom - der Aufschwung des Akustischen hängt eng damit zusammen, dass gesprochene Inhalte über Audiotheken und Download-Portale erstmals in großer Zahl verfügbar sind. Diese Archive sind auf die Gegenwart und Zukunft ausgelegt: Eingestellt wird, was neu produziert wird. Hingegen bleiben die ersten hundert Jahre des Hörfunks weitgehend unter Verschluss, solange Produktionen nicht hin und wieder im linearen Radioprogramm wiederholt werden. Das Wegsperren in den Senderarchiven hat urheberrechtliche Gründe, aber auch finanzielle und logistische.

Die Schau weist auf einen Mangel hin: Es gibt bislang kein öffentlich zugängliches Hörspiel-Archiv

Diese Hürde hat die Ausstellung "Radiophonic Spaces" nun zumindest temporär überwunden: Im Haus der Kulturen der Welt in Berlin und im Museum Tinguely in Basel präsentiert sie rund 200 Radioarbeiten. Im kommenden Sommer wird sie auch in der Bauhaus-Universität Weimar zu sehen und zu hören sein - dort also, wo sie konzipiert worden ist. Nathalie Singer, die in Weimar eine Professur für Experimentelles Radio innehat und selbst Hörspielmacherin ist, hat "Radiophonic Spaces" leitend kuratiert.

Die Ausstellung spielt mit der Geschichte des Mediums und mit dem Umstand, dass Stöbern muss, wer nach historischer Radiokunst und wegweisenden Hörspielproduktionen sucht. Besucher bekommen ein Smartphone und einen Kopfhörer und verwandeln sich damit in eine Art Sendersuchnadel alter Radiogeräte. Oft hört man nur ein Rauschen, wenn man durch den Ausstellungsraum geht. Alle paar Schritte empfängt man jedoch einen Ausschnitt aus einer von 200 ausgewählten Produktionen. Diese sind in 13 Kategorien sortiert. Etwa "Original-Ton-Wirklichkeit" - da stößt man etwa auf Ror Wolfs Fußballkommentar-Collage Der Ball ist rund von 1979. Oder "Funkstille" - Stücke, die sich mit Pausen und Signalstörungen befassen, etwa Paul Plampers Ruhe 1 (2008). Alle wesentlichen Hörspielmacher sind vertreten, von Günter Eich, Bertolt Brecht und Ernst Jandl über Friederike Mayröcker, Mauricio Kagel und Heiner Goebbels bis zu Andreas Ammer, Michaela Mélian und dem Liquid Penguin Ensemble. Und man kann bis in die Anfänge zurückgehen, zu Hans Fleschs Zauberei auf dem Sender (1924) und Walter Ruttmanns Weekend (1930). Im Bereich der Klangkunst gibt es auch Produktionen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien.

Über eine Speicherfunktion kann man eine Playlist erstellen und die ausgewählten Stücke in voller Länge hören. Taucht man tief ein in diese unterschiedlichen Klangwelten, lassen sich Stunden und Tage in dieser Ausstellung verbringen - und man erschließt sich doch nur einen Teil des Gebotenen. Das wiederum keinen geschlossenen Kanon bildet. Das Konzept erlaubt es theoretisch, die Auswahl der Hörspiele zu erweitern und zu verändern - eine dynamische und eben nicht im negativen Sinn musealisierende Herangehensweise, die den Gegenstand erstarren lässt.

"Radiophonic Spaces" weist auf einen Mangel hin: Es gibt bislang keine öffentlich zugänglichen Orte, an denen Hörspiele in der ganzen Bandbreite unterschiedlicher Ästhetiken und historischer Entwicklungen rezipiert werden können. Damit fehlt der Gattung ihr kulturelles Gedächtnis, das Verbannen in Rundfunk-Archive kommt einer Amnesie gleich. Daran wird auch "Radiophonic Spaces" nichts ändern. Es sei denn, es findet sich doch noch eine Lösung, daraus eine dauerhafte Einrichtung zu machen. Die richtigen Partner und Förderer immerhin sind bereits an Bord bei der temporären Ausstellung, voran die Kulturstiftung des Bundes, das Deutsche Rundfunkarchiv und die Film- und Medienstiftung NRW.

Radiophonic Spaces , Haus der Kulturen der Welt, Berlin, noch bis 10. Dezember; Museum Tinguely, Basel, noch bis 27. Januar. http://radiophonic.space

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Quelle:
SZ vom 06.12.2018
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