Süddeutsche Zeitung

"Becoming Charlie" bei ZDF Neo:Bunte Bubble

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Die ZDF-Serie "Becoming Charlie" erzählt von den Sorgen der non-binären Hauptfigur. Und kassiert dafür prompt einen Shitstorm.

Von Eva Goldbach

Charlie rennt der schwangeren Freundin Alina hinterher, zeigt auf ihren Bauch und fragt lachend: "Ist das eigentlich von mir?" Hinter dem Hochhausblock, unter einem Balkon, wo beide hockend pinkeln, sagt Alina: "Kannst du mal aufhören, so zu tun, als wärst du ein Typ?" Charlie fragt verunsichert: "Was wäre wenn?" Alina reagiert erst nicht, dann lacht sie: "Dann könntest du im Stehen pinkeln." Gerade noch die Kurve gekriegt.

Eine nicht-binäre Hauptfigur in der neuen ZDF Neo Mini-Serie Becoming Charlie? Schon brodeln die Kommentar-Spalten in den sozialen Medien. "Wie ARD und ZDF unsere Kinder sexualisieren und umerziehen" , schreibt die Welt über das Programm der Öffentlich-Rechtlichen und erntet nicht nur Kritik. Sexualisierung der Jugend? Motto: Das Kind schaut "König der Löwen", und schon lässt es sich zum Löwen umoperieren? Diversität zeigen heißt auch einfach LGBTQ+ erklären, also was es bedeutet, sich jenseits von Geschlechternormen zu verorten. Und hier wird Charlie erklärt, gespielt von Lea Drinda, die auch in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" brillierte. Eine nicht-binäre Hauptfigur, weder männlich noch weiblich, bislang gab es davon wenige. Dabei ist Diversität für das Programm von ARD und ZDF wichtig, um "die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen".

Das haben sich die Produzenten zu Herzen genommen. Becoming Charlie präsentiert stolz sein Vorzeigepersonal für die Nebenrollen: Charlies schwangere Freundin ist mindestens bisexuell, der Kumpel hat einen Migrationshintergrund und ist schwul, die lesbische Tante mit einer schwarzen Frau liiert und das romantische Interesse polyamourös. Diversität über Sichtbarkeit also. Diese Mischung leicht schräger und normal attraktiver Figuren lebt in einem tristen Setting. Eine graue Block-Siedlung - eigentlich egal welche -, viel grauer Himmel und Industriegebiet. Schön ist die Serie nicht, dafür aber nicht schwarz oder weiß, sondern irgendwas dazwischen - grau. Und dabei natürlich bunt.

Das Klischee ist manchmal nicht weit

Charlie ist " lost", inmitten von Identitätskrisen und muss nebenher auch noch die Stromrechnung bezahlen, denn dank der kaufsüchtigen Mutter leben die beiden fortan im Dunkeln. Dafür radelt Charlie gehetzt Pizzen durchs Industriegebiet. Auffällig oft bleibt trotzdem Zeit für ein Treffen mit der süßen Nachbarin Ronja. So wichtig diese Begegnungen sind, so plakativ wird die Diversitätsschiene, in der Becoming Charlie vehement - und doch manchmal etwas holperig - fährt. Das (Geschlechter-)Klischee ist jedenfalls nie weit: Männer gehen trainieren, hören Rap und mögen Autos. Und die vogue poc-Nachbarin Ronja erkennt natürlich sofort, dass Charlie sich nicht heteronormativ weiblich definiert und fragt nach den Pronomen. Sie/ er/ Charlie?

Trotzdem - und das macht Becoming Charlie gut - man versteht, was in Charlies Kopf vorgeht. Charlies Kommunikation geht zwar auch mal nach hinten los, endet mit einem blauen Auge, aber lässt die Zuschauer an der Selbstfindung teilhaben. Dass die mitunter etwas plakativ gerät, ist vielleicht auch den ultrakurzen Folgen mit etwa 16 Minuten geschuldet oder liegt am Diversitätsdruck und dem unbedingt herbeikonstruierten Happy End. Das tut neben dem bunten Grau aber trotzdem ganz gut.

Becoming Charlie, in der ZDF-Mediathek .

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