Süddeutsche Zeitung

ARD-Krimi:"Tatort"-Nachlese: Moment, da stimmt doch was nicht!

Lesezeit: 3 min

Tote Flüchtlinge in einem Laster, Schleuser mit Gewissensbissen, ein emotionaler Kommissar - der Stuttgarter "Tatort" will aufrütteln. Leider kommt mancher Satz direkt aus der Klischeekiste.

Kolumne von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um Menschenhandel, mitten in Europa, mitten in Schwaben. Thorsten Lannert und Sebastian Bootz observieren auf einem Autobahnparkplatz einen Laster, in dem sie Rauschgift und einen Mörder vermuten. Doch stattdessen entdecken sie im Innern tote Flüchtlinge aus Afrika. "23 Menschen sind krepiert, während wir 20 Meter entfernt waren", sagt Kommissar Lannert. Die Stuttgarter Episode "Im gelobten Land" verhandelt die ganz großen Fragen der Weltpolitik. Das Grauen der Flüchtlingskrise ist allgegenwärtig, so die Botschaft dieses Tatorts, selbst auf einem Rastplatz mit dem Namen "Schönbuch". Wink mit dem Zaunpfahl.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Das Geschwisterpaar Kostic hat sich mit Kommissar Lannert als Geisel in einem Flüchtlingsheim verschanzt. Milan Kostic und seine Schwester Mitra kamen einst als Flüchtlinge des Balkankrieges nach Deutschland - jetzt stehen sie im Verdacht, als Schleuser Profit aus der aktuellen Flüchtlingskrise zu schlagen.

Lannert: Was ist ein Menschenleben wert für Sie? Sechs-, acht-, zehntausend Euro? Ja? Das verlangen Sie doch für jede Schleusung und für jeden Erwachsenen. Was ist mit den Kindern? Sind die gratis, geh'n aufs Haus, ja? Man muss ja was bieten. Konkurrenz ist groß.

Milan Kostic: Was redet der?

Lannert: Ich rede von 23 Menschen. Männer, Frauen, Kinder. Gezwängt in den Hohlraum eines LKWs und erbärmlich erstickt. (Milan und Mitra werfen sich ein Blick zu.) Was, überrascht? Oder nur zu feige, sich der Wahrheit zu stellen?

Milan Kostic: Deine Wahrheit vielleicht!

Lannert: Drogen mussten sie auch noch schmuggeln, die Flüchtlinge. Man hätte diese Menschen retten können!

Milan Kostic: Flüchtlinge, Drogen - was noch alles? Panzer und Raketen, oder was?

Die besten Zuschauerkommentare:

Beste Szene:

Lannert, Bootz und der Kollege Ulmer von der Drogenfahndung blicken in den Laderaum des observierten LKWs - gähnende Leere. "Ist ja 'ne gewaltige Lieferung", stichelt Bootz in Richtung Ulmer. Doch kurz darauf ruft Ulmer aus dem Laderaum: "Oh Scheiße!" Hinter den Seitenwänden des Lasters stehen Leichen, ordentlich nebeneinander aufgereiht, aufrecht gehalten von Holzbalken auf Brust- und Hüfthöhe. Vom furchtbaren Todeskampf, den diese Menschen durchlitten haben, ist in den Gesichtern nichts zu sehen - trotzdem ist das Bild kaum zu ertragen. Es braucht keine Fotos von aufgedunsenen Körpern, um das furchtbare Leid schutzsuchender Menschen zu verdeutlichen. Solche Aufnahmen waren im vergangenen Sommer in einigen Boulevardmedien zu sehen, nachdem in Österreich ein Laster mit den Leichen von 70 Flüchtlingen entdeckt worden war. In diesem Tatort macht gerade das nicht Gezeigte den Zuschauer beklommen.

Top:

Wollte man der Stuttgarter Episode ein Zeugnis ausstellen, könnte man sagen: Sie war stets bemüht. Die Macher wollten offensichtlich mehr, als irgendeinen Krimi mit Flüchtlingsthematik zu erzählen.

Deshalb hat das Schleuser-Geschwisterpaar Kostic selbst Migrationshintergrund und wird zwischendurch von Gewissensbissen geplagt. Deshalb gibt es einen bösen Flüchtling, der Kommissar Lannert das Handy klaut, und einen guten Flüchtling, der sich ihm als Dolmetscher anträgt. Am Ende ist doch alles ganz anders und lässt sich darauf zurückführen, dass beide Männer aus Alternativlosigkeit handeln. Deshalb zieht Afrikanerin Leila vor Kommissar Lannert ihr T-Shirt hoch und zeigt ihm die Narben, die ihr Handlanger des Regimes zugefügt haben, und die die deutschen Behörden für selbst zugefügt hielten, um Asyl zu erschleichen. Und deshalb sagt Kommissar Lannert zu Staatsanwältin Alvarez: "Ist nicht schon längst Feierabend? Sie haben doch bestimmt was Angenehmes vor: lecker essen, Oper, Vernissage? Das Leben geht weiter." Er spricht damit natürlich uns alle an.

Flop:

Leider ist der Tatort bei aller ehrbaren Ambition arg überfrachtet. Zu viele Aspekte werden da in 90 Minuten gepresst. Und zu viele Klischees. Als der Bösewicht gewahr wird, dass auf seinem Firmengelände jemand herumschnüffelt, sagt er allen Ernstes: "Moment, da stimmt doch was nicht!" Araber Jamal will von Kommissar Bootz wissen, wie er zu Kollege Lannert steht: "Ist ihr Freund?" Und der Ermittler weist einen kleinen Jungen an: "Geh' mal zu deiner Mama." Sätze aus der Universal-Zitatekiste.

Bester Auftritt:

Drogenfahnder und All-Around-Unsympath Ulmer (Christian Koerner) muss optisch daherkommen wie ein Werber aus Prenzlauer Berg, inklusive Hornbrille. Darf zum Ausgleich aber in breitem, annähernd glaubhaftem Schwäbisch Sätze wie diese sagen: "Hey, immer schön Profi bleiben! Wenn du deine Toten mit nach Hause nimmsch, hasch du den falschen Job. Wenn du d' Welt rette willsch, dann kaufsch dir 'n roten Umhang, 'n blauen Oazug, malsch a großes S druff und lernsch fliege."

Die Erkenntnis:

Wenn es häufiger mal einen Polizisten wie Thorsten Lannert gäbe, der bereit ist, für die gute Sache ein Disziplinarverfahren zu riskieren (theoretisch) und zu bluten (wortwörtlich), dann wär die Schleppermafia bald hinter Schloss und Riegel. Aber leider ist das nur der Tatort.

Die Schlusspointe:

Am Ende entkommt Schleuser Kostic. "Das war's wohl wert?", fragt Bootz seinen Kollegen Lannert. Der nickt - und hält in der Hand ein Büchlein mit den Kontakten zu Hintermännern.

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