Süddeutsche Zeitung

Anti-Negativismus-Aktivist:Die halbe Wahrheit

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Der dänische Journalist Ulrik Haagerup hat ein Plädoyer für "konstruktive Nachrichten" geschrieben. Ihm geht es darum, Lösungen anzustoßen.

Von Viola Schenz

Die Welt ist schlecht. Nicht bloß schlecht, sie ist gefährlich, korrupt, ungerecht, mörderisch und voller Naturkatastrophen. Das ist das Bild, das die Schlagzeilen morgens am Kiosk und die Nachrichten abends am TV-Schirm hinterlassen. Griechenland-Krise, IS-Terror, Flüchtlingsströme, Bahnstreik, Massenentlassungen, Koalitionsgezänk, und dann noch der zu heiße Sommer - alles da, Tag für Tag, rauf und runter.

Es sind die Art Nachrichten, die auch Ulrik Haagerup am Fließband produziert(e). Haagerup ist Nachrichtendirektor bei der Dänischen Rundfunkanstalt, und natürlich galt für ihn die Nachrichtendoktrin, die ihm schon als Journalistenschüler und später als Reporter eingebläut wurde: Only bad news are good news - nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, oder noch etwas drastischer: If it bleeds, it leads - wo Blut fließt, da ist eine Schlagzeile.

Dann kamen die Zweifel. Ist die Welt tatsächlich so negativ, wie Journalisten sie Tag für Tag in ihren Berichten, Reportagen, Kommentaren präsentieren? "Sehen wir nur die Löcher, nicht aber den Käse drumherum", wie Haagerup es ausdrückt, zeigen nur die halbe Wahrheit? Ein Teenager aus der Nachbarschaft habe den Anstoß gegeben. Wie es so laufe in der Schule, habe er sie gefragt. Furchtbar, habe das Mädchen geantwortet, sie müsse eine Woche lang Zeitung lesen und Nachrichten schauen, eine Strafarbeit, denn was sie da lese und sehe, sei "so deprimierend". Kann es also sein, dachte Haagerup, dass den Medien auch deswegen Leser und Zuschauer weglaufen, weil die der Negativnachrichten überdrüssig sind? Unterliegen Medienmacher, wie er selber einer ist, einem großen Irrtum, wenn sie meinen, nur damit Aufmerksamkeit, Einschaltquoten und letztendlich Umsätze erzielen zu können? Warum gelten unter Journalisten die kritischsten Kollegen als die besten? Muss kritischer Journalismus immer negativ sein? Haagerup machte aus all diesen Fragen das Buch "Constructive News", das vergangenen Herbst auf den Markt kam und gerade auf Deutsch erschienen ist.

Der 52-Jährige bedient sich darin auch bei UN-Statistiken zu positiven Entwicklungen: dass 90 Prozent der Weltbevölkerung inzwischen Zugang zu sauberem Wasser hätten. Oder dass die Zahl der Malaria-Toten seit 2000 um 42 Prozent zurückgegangen sei. Solche Zahlen seien einsehbar, aber sie würden ignoriert - von vielen Seiten. "Niemand lädt zu einer Pressekonferenz über Kinder, die nicht an Malaria gestorben sind", zitiert Haagerup den einstigen Software-Unternehmer und jetzigen Philanthropen Bill Gates.

Nun kann man argumentieren, dass Medien lediglich liefern, was ihre Leser und Zuschauer haben wollen. Die Gier nach Sensation, nach dem Leid anderer scheint nun mal Teil der menschlichen Natur zu sein. Darum zieht ein Verkehrsunfall Gaffer an, egal in welchem Land, in welcher Gesellschaft. "Es ist aber nicht die Aufgabe der Medien, diese Gier zu befriedigen", sagt Haagerup am Telefon in Kopenhagen.

Haagerup ist nicht der erste, der den Medien Negativismus vorwirft oder es anders machen will. 1994 formierte sich zum Beispiel im US-Staat Virginia The Joy Gazette, eine Zeitung, die ausschließlich gute Nachrichten veröffentlichte (sie hat allerdings nicht überlebt), und das sehr erfolgreiche Nachrichtenportal Huffington Post führte 2012 die Rubrik "Good News" ein mit den "Geschichten, die die meisten Medien nicht berücksichtigen", wie die Gründerin Arianna Huffington erläuterte. Nein, er erhebe nicht den Anspruch, eine neue Idee zu haben, sagt Haagerup, vielleicht aber, mehrere neue Ideen zu kombinieren und den Journalistenberuf grundsätzlich neu anzugehen.

Natürlich sei es, bleibe es Aufgabe der Journalisten, Missstände zu offenbaren. Es gehe nicht darum, "gute" Nachrichten zu verbreiten, "das wäre der falsche Weg, unglaubwürdig und gefundenes Fressen für jeden Diktator, der sich seine Diktatur schön schreiben lässt, da wären wir in Nordkorea, wo auf Staatsbefehl der Himmel immer blau ist". Es gehe auch nicht darum, positive Gefühle zu erzeugen, dafür "müsste man den ganzen Tag Katzenvideos senden". Es gehe darum, Lösungen anzustoßen. "Kritisch sein ist elementarer Teil des Journalismus" sagt Haagerup, "aber es muss ein Instrument sein, nicht das Ziel. Ziel ist, die Leute zu informieren, und zwar umfassend, ihnen alle Seiten zu präsentieren." Sonst habe man nicht nur verdrossene Leser, sondern auch verdrossene Bürger, die keinen Sinn sehen in politischem Engagement.

Dann erzählt Haagerup davon, wie seine Frau, eine Ärztin, ihr Studium abschloss und den Hippokratischen Eid leistete, schwören musste, ihre Fähigkeiten "mit Sorgfalt einzusetzen und für das Wohl meiner Mitmenschen und der ganzen Gesellschaft". Und bei ihm? "Wir gingen zum Ende unserer Journalistenausbildung ein Bier trinken, das war's."

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Quelle:
SZ vom 15.07.2015
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