Süddeutsche Zeitung

Thema der Woche:Raus hier

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20 Jahre lang haben Soldaten aus den USA, Deutschland und anderen Ländern die Regierung in Afghanistan geschützt. Jetzt wurden die Soldaten abgezogen. Seitdem wollen viele weg aus Afghanistan. Aber wie lange geht das noch?

Von Moritz Baumstieger

Menschen drängen sich auf einem Flughafen. Sie versuchen, irgendwie in eine der Maschinen zu kommen. Manche klettern die Treppen außen hoch, andere klammern sich an den Flugzeugen fest, obwohl die schon starten. In den vergangenen Tagen konnte man Bilder sehen, auf denen die Menschen so verzweifelt wirken, als müssten sie sich vorm Ertrinken retten - nur, dass nirgends Wasser zu sehen war und es eben Flugzeuge und keine Rettungsboote waren, in die sie hineinwollten.

Diese Szenen spielten sich in Afghanistan ab, einem Land, das gut 6000 Kilometer entfernt ist und in dem, mit kurzen Pausen, seit 40 Jahren Krieg herrscht. Als vor 20 Jahren eine Gruppe von dort Attacken auf andere Länder geplant und realisiert hatte, schickten die USA, aber auch Deutschland, Soldaten. Sie sollten die Gruppe verjagen und den Aufbau eines friedlichen Afghanistan schützen. Dabei ist einiges schiefgelaufen. Über die Jahre ist es nicht gelungen, einen stabilen Staat aufzubauen. Die Gruppe, die zuvor die Macht im Land hatte, die Taliban, wollten nicht, dass ausländische Soldaten in ihrem Land sind. Sie starteten bald wieder Angriffe.

In Amerika, in Deutschland und in anderen Ländern, die Soldaten nach Afghanistan geschickt hatten, verstanden die Menschen bald immer weniger, warum ihr Land in einem so teuren und gefährlichen Einsatz mitmachen muss. Vor wenigen Wochen holten sie ihre Soldaten nach Hause. Aber allein konnte sich die Regierung in Afghanistan nicht schützen. Eine Provinz nach der anderen nahmen die Taliban ein. Oft mussten sie gar nicht kämpfen: Die Soldaten der Regierung rannten einfach davon. Als die Taliban dann vergangenes Wochenende in der Hauptstadt Kabul ankamen, ging der Staat unter wie ein Schiff, das einen Eisberg gerammt hat: ohne Chance und wahnsinnig schnell.

Weil sie die Rache der neuen Machthaber fürchteten, stürmten sehr viele, die für die Regierung oder ausländische Soldaten gearbeitet hatten, zum Flughafen - in der Hoffnung, so etwas wie ein Rettungsboot zu erwischen: ein Flugzeug, das sie noch aus dem Land bringt. Viele wollten gleichzeitig dorthin. Bald brach Chaos aus.

Vor den Taliban haben viele Leute Angst. Als sie bis vor 20 Jahren regierten, war das für viele Afghanen grauenhaft. Die Taliban haben sehr strenge Vorstellungen, wie das Land regiert werden muss. Die Gesetze dafür meinen sie aus ihrer Religion ableiten zu können, dem Islam.

Und obwohl sehr viele Menschen, die derselben Religion angehören, das ganz anders sehen, sind sich die Taliban sicher, dass nur ihre Auslegung richtig ist. Ihr Name leitet sich von dem arabischen Wort für "Schüler" oder "Student" ab. Sie meinen, die Worte im Koran und die Überlieferungen des Propheten sehr genau gelernt zu haben. Als sie das letzte mal regierten, verstanden sie darunter: Frauen sollen so wenig wie möglich auf die Straße gehen und wenn, mit einer Burka, einem Schleier, der den ganzen Körper bedeckt. Musik ist nicht erlaubt, Sport nicht, Kunst auch nicht. Mädchen sollen am besten gar nicht in die Schule gehen. Wer gegen diese Regeln verstößt, wurde hart bestraft.

Aus Angst davor, dass das bald genau wieder so sein wird, wollen nun viele Menschen weg. Sie haben in den vergangenen Jahren ganz andere Sachen ausprobiert: Frauen haben im Fernsehen die Nachrichten moderiert, statt sich zu verstecken. Jugendliche sind Skateboard und Ski gefahren. Im Stadion von Kabul wurde Fußball gespielt.

Nach anfänglichem Chaos landen am Flughafen inzwischen die Flugzeuge der USA, von Großbritannien und Deutschland im Minutentakt. Um so viele Menschen wie möglich zu retten. Die könnten ein neues Afghanistan aufbauen, wenn die Zeit der Taliban irgendwann zu Ende geht.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2021
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