Süddeutsche Zeitung

Thema der Woche:Grauzone

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Er hat lange Ohren, reichlich Geduld und eine eigene Meinung. Jetzt ist der Esel auch noch zum Haustier des Jahres gewählt worden. Wie geht das denn bitte? Über ein Tier, in dem erstaunlich viel Menschliches steckt.

Von Georg Cadeggianini

Da macht man es sich gerade nach allen Regeln der Kunst auf dem Sofa gemütlich - mit Wärmflasche, Hörspiel, Keksen - und auf einmal schnuckelt sich ein Esel dazu: "Iiiaaa" ("ich auch" auf Bayrisch). Er drückt seine schmalen Eselknie ins Polster, legt die Hufe rauf und schlenkert einmal kräftig mit den Ohren. Man schaut in Kulleraugen, spürt warmen Eselatem: mein Haustier!

Ist natürlich Quatsch. Zwar ist der Esel gerade zum "Haustier des Jahres" gewählt worden, deswegen ist er aber noch lange keine Wohnzimmerkatze. Haustier wird jedes Tier genannt, das durch Züchtung an die Bedürfnisse des Menschen angepasst wurde. Auch eine Kuh ist also ein Haustier. Trotzdem ist der Esel sehr viel näher an uns Menschen dran, als man erst mal denkt. Schon seit 5000 Jahren zockeln Mensch und Esel gemeinsam durch die Welt. Damit gehört er zu den ältesten Haustieren der Welt. Wie der Mensch hat auch der Esel seine Vorfahren in Afrika. Ein Esel braucht andere Esel, um glücklich zu sein. Und: Einmal übergewichtig, ist es fast unmöglich für ihn, wieder Normalgewicht zu erreichen. Erinnert einen an etwas ... Anders als Pferde mit einer Normal-Temperatur von bis zu 38,2 ist der Esel auf den Menschen geeicht: 37 Grad. Mit seiner Stehmähne ist er der Punk in der Pferdefamilie. Er ist nicht reiterhörig, bildet sich stets seine eigene Meinung. Esel sind keine Fluchttiere, bleiben bei Unsicherheit stehen. Lieber Lage ausloten als drauf los galoppieren. Der Esel ist der VW-Bus unter den Tragetieren. Geliebt dafür, dass er so süß aussieht und man mit ihm so langsam unterwegs ist.

In Deutschland gibt es etwa 12000 Esel. Hunde mehr als zehn Millionen, Katzen sogar 15. Trotzdem kennt ihn jedes Kind. Er ist die tragende Figur der Bremer Stadtmusikanten, auf ihm zog Jesus in Jerusalem ein, er macht den Umweg zum Königsweg: Eselsbrücke eben. Irgendwie steckt der Esel in der Mitte jeder Gesellschaft. G-esel-lschaft halt.

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SZ vom 15.01.2022
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