Süddeutsche Zeitung

Schule:Sind Noten nötig?

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Josefine geht auf eine Schule, die auf Zensuren verzichtet. Auf ihrem Zeugnis fehlen die Zahlen von Eins bis Sechs. Woher weiß sie dann, wie gut sie in welchem Fach ist?

Von Juliane von Wedemeyer

Josefine kommt bald in die vierte Klasse. Vorher wird sie mit ihrer Familie aber über die Nordsee segeln. In Bremen, wo Josefine wohnt, haben gerade die Ferien begonnen. Die Freude auf den Bootstrip kann ihr auch ihr Zeugnis nicht vermiesen, obwohl keine einzige Eins oder Zwei draufsteht. Dabei ist Josefine eine gute Schülerin. Vieren und Fünfen hat sie auch nicht. Sie hat überhaupt keine Noten. Die gibt es an ihrer Schule nämlich nicht. Stattdessen stehen auf Josefines Zeugnis viele Texte: "Die Lehrer schreiben drauf, was man gut kann und woran man noch arbeiten müsste", erklärt Josefine. "Außerdem merke ich ja im Unterricht, was mir leichtfällt und was nicht - was mir leichtfällt, das kann ich. Was mir schwerfällt, das muss ich noch üben."

Proben müssen Josefine und ihre Mitschüler auch schreiben. Für jede richtig gelöste Aufgabe erhalten sie Punkte. Wer beispielsweise 29 von 30 Punkten erreicht, beherrscht den Unterrichtsstoff ziemlich perfekt. Ihre Leistung kennt Josefine also auch ohne Noten gut. Zumal die Lehrerinnen und Lehrer regelmäßig mit ihren Schülern darüber reden.

Schon jetzt bekommen überall in Deutschland Erstklässler keine Noten mehr. Und immer mehr Schulen verzichten auch bis zur fünften Klasse darauf. Mittlerweile dürfen in einigen Bundesländern die Lehrer entscheiden, ob sie während der gesamten Grundschulzeit Noten geben oder nicht. Natürlich müssen sie sich einig sein. Dass an einer Schule die Mathelehrerin Noten erteilt und der Deutschlehrer nicht, geht nicht.

Auf Josefines Schule gehen auch Kinder, die wegen einer Behinderung langsamer lernen. Ihre Leistungen mit denen von schnellen Schülern zu vergleichen, wäre sowieso sinnlos. An immer mehr Schulen in Deutschland werden Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet. Und oft geben die Lehrer dann eben keine Noten. Josefines Rektorin Marita Benteler ist aber auch so überzeugt, dass Zensuren überflüssig sind. "Denn die Wissenschaft hat festgestellt, dass der Mensch keine Noten braucht. Er will von sich aus lernen", sagt sie.

Nächstes Jahr wird es für Josefine um die Frage gehen, auf welche weiterführende Schule sie wechselt. Wenn die Lehrer überzeugt sind, dass sie ein Gymnasium besuchen sollte, wird auf ihrem Zeugnis folgender Satz stehen: "Die Leistungen liegen überwiegend über dem Regelstandard." Danach können sich die Eltern dann richten. Auf der neuen Schule wird wohl auch Josefine Noten bekommen. "Eigentlich freue ich mich auch schon ein bisschen darauf", sagt sie.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2015
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