Süddeutsche Zeitung

Qualvolle Sterbehilfe?:"Ich brenne"

Lesezeit: 3 min

In der Schweiz wird diskutiert, ob eine deutsche "Dignitas"-Patientin beim begleiteten Selbstmord gelitten hat

Judith Raupp

Diagnose Hirntumor. Diese Nachricht muss die 43 Jahre alte Chefsekretärin aus der Bahn geworfen haben. Eine schwierige Operation, erfolglose Chemotherapien und ständige Kopfschmerzen raubten ihr schließlich den letzten Lebenswillen.

An einem Tag im vergangenen November fuhr die Frau aus einer deutschen Kleinstadt in der Nähe des Bodensees nach Zürich und nahm sich das Leben - begleitet von der Sterbehilfeorganisation Dignitas.

Ob es dabei "absolut schmerzlos und ruhig" zuging, wie es Dignitas auf ihrer Homepage verspricht, ist unklar. Dirk Neuhaus, ein Arbeitskollege der Toten und seine Lebensgefährtin Pomina Bentson, eine enge Freundin der Patientin, begleiteten die verzweifelte Frau auf ihrem letzten Weg. "Sekunden, nachdem meine Bekannte das Todesmittel geschluckt hatte, schrie sie 'ich brenne'", sagte Neuhaus der SZ.

Niemals zuvor habe er seine Bekannte so agieren sehen. "Sie war hart im Nehmen. Aber diesmal muss sie höllische Schmerzen gehabt haben", glauben Neuhaus und eine Lebensgefährtin. Um den Tod der Patientin ist nun eine Diskussion entbrannt, in Medienberichten war gar - wohl übertrieben - von einem qualvollen Todeskampf über 38 Minuten die Rede.

Ludwig A. Minelli, Generalsekretär von Dignitas, weist das zurück. Die Klientin habe lediglich gesagt, das Medikament sei bitter, erklärt er und beruft sich auf eine weitere Freundin der Toten, die während des Selbstmordes anwesend war. Diese Bekannte sagte der Züricher Sonntagszeitung, die den Fall öffentlich machte: "Ich glaube nicht, dass meine Freundin stark gelitten hat".

Statistische Untersuchung angekündigt

Laut Minelli hat es nie Problemfälle gegeben: "Würde die Medikamentenlösung brennen, hätten wir dies in anderen Fällen ebenfalls gemeldet bekommen. Es gibt aber keine solchen Meldungen". Die Patientin sei vier Minuten, nachdem sie 15 Gramm Natrium-Pentobarbital eingenommen hatte, eingeschlafen. Sie habe danach nichts mehr gespürt.

Was aber geschah innerhalb dieser vier Minuten? Dignitas hat angekündigt, den Zeitablauf von der Einnahme des Medikaments, bis zum Einschlafen und Tod bald statistisch untersuchen zu lassen.

Einen schmerzhaften Todeskampf hält die Ärztin Christine Rauber vom Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum für "höchst unwahrscheinlich, wenn jemand tatsächlich 15 Gramm Natrium-Pentobarbital genommen hat". Eigentlich sei eine Dosis von zwei Gramm tödlich. Das Barbiturat legt Atmung und Kreislauf lahm. Die Sterbenden merken normalerweise nichts davon, weil sie im Koma liegen. Ärzte verwenden Natrium-Pentobarbital in geringen Dosen in der Anästhesie. Bei 100 bis 200 Milligramm, also einem Bruchteil der Dignitas-Dosis, schlafen die Patienten nach 15 Minuten.

Dignitas gerät in der Schweiz immer wieder in die Schlagzeilen, weil sich die Organisation auf Sterbehilfe für Ausländer spezialisiert hat. Von den 192 Patienten, die 2006 mit Dignitas starben, kamen 118 aus Deutschland. Für sterbenswillige Deutsche ist Zürich Anlaufstelle Nummer eins. Das Schweizer Gesetz ist liberaler. Es erlaubt Beihilfe zum Selbstmord, sofern keine eigennützigen Motive vorliegen. In Deutschland müssen Todesassistenten indes mit einer Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung rechnen.

Mangelnde Transparenz

Der Schweizer Oberstaatsanwalt Andreas Brunner kritisiert seit Jahren, dass manche Patienten von Dignitas schon 24 Stunden nach ihrer Einreise in die Schweiz tot seien. Brunners Beamte müssen jeden begleiteten Suizid untersuchen. Es sei fraglich, ob da eine umfassende Abklärung der Selbstmordabsicht möglich sei, sagt Brunner. Zum umstrittenen Tod der deutschen Krebspatientin will er sich nicht äußern. Dignitas zufolge läuft kein Verfahren gegen die Organisation. Man komme den Sorgfaltspflichten auch bei ausländischen Patienten nach, heißt es.

Anders als Dignitas will Exit, eine weitere Schweizer Sterbehilfeorganisation, nichts mit ausländischen Klienten zu tun haben. Voraussetzung für einen begleiteten Suizid sei, dass der Sterbewillige sein Leben unerträglich finde, urteilsfähig sei und den Todeswunsch auf Dauer habe, sagt ein Sprecher der Organisation. "Es braucht Zeit, diese Fragen zu klären. Bei Ausländern kämen wir unter erheblichen Druck. Das können wir nicht verantworten", betont er. Zudem wolle man sich nicht dem Verdacht aussetzen, dass finanzielle Interessen im Spiel seien.

Minelli sagt, die durchschnittlich 3500 Euro für einen begleiteten Selbstmord bei Dignitas deckten nur die Kosten für die Organisation, den Arzt, und das Einäschern oder Überführen des Sarges. Mit der Transparenz nimmt man es aber nicht so genau. Der letzte veröffentlichte Tätigkeitsbericht stammt aus dem Jahr 2004.

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