Süddeutsche Zeitung

Dem Geheimnis auf der Spur:Die reichen Barbaren

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Reiseberichte des Gelehrten Leo Africanus prägten lange das Afrikabild der Europäer. Aber stimmten sie auch?

Von Rudolf von Bitter

Spätestens seit der Renaissance galt "Barbaria", der Norden Afrikas, als ein legendär reiches Land, dessen Erzeugnisse, vor allem exotische Früchte, in Europa zu den Besonderheiten gezählt wurden. Dabei sollte der Name des Landes doch nichts Gutes verheißen: Die Griechen und Römer bezeichneten alles, was ihnen fremd und wild vorkam als barbarisch, vorzugsweise die Bewohner Nordafrikas. Die Berber, die sich selbst lieber Kabylen oder Tuareg nennen, dürften ihren Namen diesem antiken Vorurteil verdanken.

Für den griechischen Geschichtsschreiber Herodot und die maßgeblichen Kulturen der Antike war Afrika noch nicht viel mehr als eine Abfolge von Salzhügeln. Tatsächlich war Salz eine der Waren, die aus Nordafrika nach Timbuktu transportiert wurden, einem der wichtigsten Handelsplätze im 14. Jahrhundert. Dieser am Niger gelegene Kreuzungspunkt der Karawanenwege wurde schon in den Weltkarten jener Zeit als Ort des Reichtums verzeichnet, etwa mit einem Bild des sagenhaften schwarzen Sultans von Mali mit einem faustgroßen Goldstück in der Hand. Händler und Karawanenführer erzählten den Europäern davon, die sich ihrerseits die Reichtümer des fernen Landes ausmalten, sich aber damit begnügten, entlang der Küste nach Süden hin Afrika zu entdecken.

Auf einer Reise nahmen ihn Freibeuter fest

So blieb es Leo Africanus vorbehalten, vorerst der einzige zu sein, der von "Barbaria" berichtete. Um 1490 Jahre in Granada als Sohn einer muslimischen Berberfamilie geboren, begleitete der Gelehrte einen Onkel auf diplomatischen Missionen. Er soll um 1510 in Timbuktu gewesen sein und beschrieb später die Pracht des Landes und der Stadt, damals Teil des Reichs der Songhai. Etwas Besonderes war, dass er auch Schriften arabischer Geographen wie die des al-Idrisi verwendete, der auf Karten schon das jeweilige Klima und die Wege verzeichnet hatte.

Im Jahr 1518 wurde Leo auf der Fahrt nach Tunis von einem spanischen Freibeuter gefangen genommen und nach Rom gebracht, wo Papst Leo X. ihn zum Christentum bekehrte. In den folgenden Jahren verfasste er ein medizinisches Wörterbuch und eine arabische Grammatik. Er schrieb auch ein geographisches Werk, das er nicht in Druck gab, das aber Eingang fand in den ersten Band der Sammlung von Reiseberichten "Delle navigationi et viaggi", die Giovanni Battista Ramusio 1550 in Venedig herausgab. Es sind offenbar die ersten in Europa veröffentlichten wirklich anschaulichen Reiseberichte aus Afrika.

Leos Kapitel mit seinen Schilderungen der Küsten Nordafrikas von Tunis bis Marokko sowie der mit Gold und Sklaven handelnden Königreiche südlich der Sahara und Westafrikas prägte lange Zeit die europäische Wahrnehmung Nordafrikas. Ramusio hatte noch einige Stellen hinzugemischt, die nicht von Leo Africanus stammten, aber dem europäischen Publikum gefielen. Überdies verdankte Leo Africanus' "Beschreibung Afrikas" ihre weite Verbreitung auch der damals neuen Erfindung der Buchdruckerkunst. Aber hatte der Vielgereiste in seinem einflussreichen Buch auch die Wahrheit geschrieben?

Erst mit den Berichten späterer Afrika-Forscher wurde erkannt, was von Leos Darstellungen nicht zutraf. Wobei auch noch im 19. Jahrhundert dem französischen Forscher René Caillié eine Fälschung unterstellt wurde, als er das einst so reiche Timbuktu als verarmten Handelsstützpunkt beschrieb, obwohl seine Schilderung stimmte. Charles-Henri-Auguste Schefer, der Leos "Beschreibung" 1897 neu herausgab, hat ihn gegen den Eindruck verteidigt, er habe nur fantasiert, und ihn stattdessen als zuverlässigen Berichterstatter vorgestellt: "Die Einzelheiten, mit denen uns Léon l'Africain über den Maghreb versorgt, sind von der kleinlichsten Genauigkeit."

Einige Stellen in seinen Berichten wurden entstellt und verzerrt

Ob und wie Leos Text verändert wurde, konnte erst viel später ermittelt werden, als nämlich um 1931 ein Manuskript von seiner Beschreibung Afrikas gefunden wurde: In seinem Buch "Johannes Leo der Afrikaner" von 1999 vergleicht Dietrich Rauchenberger Ramusios gedruckten Text und das zugrundeliegende Manuskript von Leo und stellt etliche Veränderungen fest. Einige sind harmlose Versuche, unleserliche Stellen logisch zu deuten, manche sogar Verbesserungen, andere aber sind, so klassifiziert Rauchenberger, "Bedeutsame, aber wahrscheinlich unbewusste Fehler", "Verzerrungen bis zum Gegenteil" oder "Entstellende Einfügungen". Rauchenberger nennt ein besonders plastisches Beispiel: "Da, wo Johannes Leo sagt, dass die Schwarzen die fröhlichsten Menschen der Welt seien, reduziert Ramusio den Vergleichsrahmen auf Afrika, so als sei jenes Glücksempfinden etwas ganz anderes als das der Europäer."

Nach 300 Jahren mag die Welt verändert sein: "Zahlreiche Faktoren konnten die Aufzeichnungen verändern: ausgetrocknete Brunnen, Veränderungen der politischen Lage, Vormacht bestimmter Stämme, Unruhen anderer Siedlungen, Wegelagerer, Sandstürme, Wanderdünen, Verschwinden oder Umzug bestimmter Orte wegen feindlicher Auseinandersetzungen, Skorpionplagen in der Sahara oder Termiten im subsaharischen Afrika, Regenfälle, die die Lehmbauten zerstörten, neue Flussarme in Mali oder Trockenheit im Tschad", schreibt Jacques Thiry etwa zu al-Idrisis geographischen Aufzeichnungen aus Afrika. Auch wenn Leo Africanus Angaben übernommen hätte, die er nicht verifiziert hat, wäre deren Zuverlässigkeit drei Jahrhunderte später sowieso fraglich. Reisebeschreibungen sind irgendwann veraltet.

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