Süddeutsche Zeitung

Lady "Bitch" Ray:Schläge unter die Gürtellinie

Lesezeit: 5 min

"Man muss nicht aussehen wie eine Eule, um für Frauenrechte zu kämpfen." Dieser Satz stammt von Lady "Bitch" Ray, die mit krassen Mitteln versucht, gegen alle Vorurteile zu bestehen.

Claudia Fromme

Als die Tram 6 an der Haltestelle Joseph-Haydn-Straße in Bremen mit einem Summen anfährt, erklärt Reyhan Sahin den Tittenscratch. Sie beugt sich in ihrem Sitz über einen imaginären Plattenspieler und ruckelt rhythmisch mit dem Oberkörper. Sie ruft "Yeah, yeah" und ein goldenes Minimikrophon an einer Kette schaukelt aus ihrem Dekolleté und zurück. Die Berufspendler pendeln mit, eine Dame mittleren Alters räuspert sich, ein Student starrt auf seine Turnschuhe. Sahin sagt, dass das ein Höhepunkt ihrer Show werden soll, in der nur "geile Frauen" auftreten, die tanzen und scratchen und dabei sehr wenig anhaben. Eigentlich wollte sie mit neuen Auftritten warten, bis ihr Album im Sommer fertig ist, aber dann habe sie es, sie hebt ihre Stimme, "einfach in der Möse gejuckt". Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Erleichterte Blicke. Reyhan Sahin blickt triumphierend zurück.

Willkommen in der Welt von Lady "Bitch" Ray. So nennt sich die 26-jährige Bremerin Reyhan Sahin, eine Deutschtürkin, die ihre Bühne immer da findet, wo mindestens einer mehr ist als sie selbst. Bisher wirkte die selbsternannte Pornorapperin allein im Internet, Lieder wie "Deutsche Schwänze", "Du bist krank" oder "Mein Weg" kann man nur im Netz herunterladen, ihre Musikvideos nur dort sehen. Für ihr erstes Album "Die Aufklärung nach Emmanuelle Cunt" verhandele sie gerade mit vier Labels.

Ihre Seite bei MySpace wurde bereits zwei Millionen Mal angeklickt, einer breiteren Öffentlichkeit aber ist sie erst bekannt, seit sie in "Menschen bei Maischberger" zu der Frage "Brauchen wir eine neue Sexualmoral?" Stellung nahm. In einem Goldstrampler mit Brustbommeln bellte sie einer verdutzten Michaela May ihre Thesen der ,,vaginalen Selbstbestimmung'' entgegen. Bild zählte 74 schlüpfrige Wörter in 75 Minuten und fragte bang, dekoriert mit textilfreien Fotos von ihr: "Sind Sie wirklich so versaut, Lady Bitch Ray?"

Reyhan Sahin sitzt in der Bremer Traditionskonditorei Stecker und isst Nusstorte, an ihren Fingern blitzen Ringe mit den Aufschriften: Nutte, HipHop, Muschi, Ray, Votze. Nach einer kurzen Leistungsschau ihres Verbalspektrums steht die Seniorin am Nebentisch auf und geht. "Das passiert immer", sagt Sahin, und sie klingt stolz dabei. Sie weiß ihren Ruf als Rapperin, die härter ist als Bushido und Sido, öffentlichkeitswirksam zu verteidigen. Der Aufstand der Zeichen ist ihr Spezialgebiet: Nach ihrem Studium der Linguistik, Germanistik und Sexualpädagogik promoviert die selbsternannte Pornorapperin an der Universität Bremen, ihr Forschungsgebiet: die Semiotik der Kleidung, also ihre Bedeutung und Wirkung.

Dieser Widerspruch zwischen pubertärem Schein und universitärem Sein ist es, der einen zuhören lässt, wenn Reyhan Sahin sich ausbreitet, und je länger sie redet, desto mehr verblasst ihr enervierendes Vulgärlatein. Ray hat Atempause, Reyhan sagt, dass das, was sie macht, nicht Provokation ist, sondern Politik. Dass sie für ein "neues weibliches Selbstbewusstsein" stehe. Sie nennt sich "Bitch", Hure, aber will es stolz verstanden wissen: eine, die weiß, was sie will und sich das nimmt - in sexueller Hinsicht wie in jeder anderen.

Eine, die sich von keinem Mann etwas sagen lässt. "Man muss nicht aussehen wie eine Eule, um für Frauenrechte zu kämpfen", sagt sie, und dass sie eine Feministin der neuen Generation sei - der nach Alice Schwarzer. Einer, zu der sie auch Charlotte Roche zählt, die sich mit ihrem Roman "Feuchtgebiete" die Bestsellerlisten erobert. Sexobjekt zu sein, stehe nicht im Widerspruch dazu, sagt Sahin, sie habe sich das selbst ausgesucht. Um ihre Karriere als Rapperin zu befeuern? Nein, sagt sie, sie spiele keine Rolle, sie sei so.

"Eine, die die Fresse aufmacht"

In "Chiko", dem Kinodebüt des Regisseurs Özgür Yildirim, das am Donnerstag anläuft, spielt Reyhan Sahin die Nebenrolle der türkischen Prostituierten Meryem. In dem Ghettofilm träumt Chiko (Denis Moschitto) von Respekt, Geld und Ehre und versucht Drogenboss Brownie (Moritz Bleibtreu) das Revier streitig zu machen, was in brutaler Gewalt endet, weil sich Chiko nicht zwischen Freundschaft und Kiezehre entscheiden kann. Ihre Rolle sieht Reyhan Sahin als Frontalangreiferin - ihre Attacke gilt deutscher wie türkischer Engstirnigkeit. Sie sei wütend auf "deutsche Gartennazis", die genau wissen, wie eine Migrantin zu sein hat. Dazu zähle auch der Sender Radio Bremen, der sie als Moderatorin bei "Funkhaus Europa" entlassen habe, weil sie sich geweigert habe, auf Pornorap zu verzichten.

Sie sei wütend auf "türkische Idioten", die Frauen vorschreiben, wie sie sich zu benehmen haben. Sie zwingen, ein Kopftuch zu tragen, wenn sie es nicht wollen. Männer zu heiraten, die sie nicht kennen und sie im Namen der Ehre zu ermorden. Darüber werde sie auf ihrer neuen Platte rappen. "Man hat als Türkin nicht die Lizenz zum Ficken, auch wenn es nur eine Rolle ist", sagt sie. Von den Fesseln wolle sie sich befreien. In "Chiko", der von Fatih Akin produziert wurde, spiele sie eine stolze Türkin, kein Opfer. Sibel Kekilli, die sie schätze, sei in "Gegen die Wand" Opfer gewesen und umso mehr, als sie wegen ihrer Pornos kritisiert wurde. "Türken wie Deutsche haben gesagt: Du Nutte." Gegen das Denken wolle sie angehen. "Vielleicht sind meine Methoden krass, aber Integrationslaberei nützt nichts."

Und wenn türkische Frauen gar nicht von einer Pornorapperin befreit werden wollen? "Endlich mal eine, die die Fresse aufmacht", hätten ihr viele Türkinnen gemailt. Und die, die im Internet schreiben: "Du beschmutzt die Ehre der türkischen Frau"? "Immer nur Männer." Und dann sagt sie noch, sie hoffe, dass ihr Vater "Chiko" nie sieht: "Der schaltet schon bei Küssen im Fernsehen um." Sexszenen seien etwas anderes als derbe Raps. "Mein Vater akzeptiert mich aber so, wie ich bin." Sie spiele ihm Lieder vor und manchmal sage er: "Du bist doch verrückt."

Vor 30 Jahren kam ihr Vater als Gastarbeiter nach Deutschland, war Schweißer und ist seit zehn Jahren arbeitslos, ihre Mutter ist Hausfrau. Aufgewachsen ist Reyhan mit zwei Brüdern im Bremer Arbeiterstadtteil Gröpelingen. Sie wurde traditionell erzogen; bis sie 21 Jahre alt war, durfte sie abends nicht raus, ein Freund war kein Thema. "Ich habe das auch nicht gewollt", sagt sie, und dass jetzt nicht wieder die Nummer vom Pornorap als Befreiungsschlag kommen solle. Sie achte türkische Werte. Es ist einer der Momente, in denen sie verletzlich wirkt, in denen die Öffentlichkeitsbuhlerin Lady Ray weit weg ist. "Das geht mir zu weit", sagt sie, sie möchte nicht zu viel über ihre Familie reden. Eigentlich sei ihrem Vater nur eins wichtig gewesen: Bildung. Er habe immer gesagt: Mach, was Du willst, aber ohne Bildung geht nichts.

Drohbriefe von Fundamentalisten

Ihr Doktorvater ist Wolfgang Wildgen, 64, Professor für Linguistik an der Universität Bremen. Dort hat sie eine prämierte Magisterarbeit zur Sprache des Hip Hop verfertigt, die als Buch erschienen ist. Sie ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, promoviert zur Semiotik des muslimischen Kopftuchs und bald hält sie ein Seminar zur "feministischen Linguistik". "Natürlich stelle ich mich nicht hin und sage: Jetzt reden wir über vaginale Selbstbestimmung", sagt Reyhan Sahin.

Aber allein, dass sie vorne stehe, habe viel damit zu tun. Wildgen lobt sie als "sehr diszipliniert", sie gehe ihre Arbeit "methodisch fundiert" an. "Ich ermuntere Doktoranden immer, sich ein zweites Standbein zu suchen, die Wissenschaft kann brotlos sein", kommentiert er ihre Rapkarriere. Solange sich das nicht auf ihre Arbeit auswirke, sei das in Ordnung. Ihre Technik der Provokation sei "gewöhnungsbedürftig" und er sehe sie schon als Gefahr; sie müsse drauf achten, ihre zwei Lebensentwürfe klarer zu trennen. Nicht immer funktioniert das. Wildgen haben schon Briefe islamistischer Fundamentalisten erreicht - mit der Aufforderung, Reyhan Sahin sofort zu exmatrikulieren.

In der Konditorei Stecker ist der Kaffeeklatsch mit Reyhan Sahin beendet, vor der Tür knipst sich Lady Ray wieder an. Sie muss zum Friseur, der ihr die Haare "geil" machen soll für die Kinopremiere an diesem Mittwoch in Hamburg, sagt sie, während sie mit obszöner Geste vor der Handykamera eines jungen Mannes posiert. Und ihr selbstentworfenes "Queen Klitoris-Kleid" für den Abend aus Spitze mit Flügeln an den Seiten sei auch noch nicht ganz fertig. Dazu werde sie einen Hut tragen, in Form einer Vagina, ruft sie noch über die Schulter. Dann stöckelt sie davon. Frau Stecker von der Konditorei blickt ihr lange nach.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.180240
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.4.2008
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.