Süddeutsche Zeitung

Kuba und die USA:90 Meilen Hass

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Die Vereinigten Staaten und das benachbarte Kuba nähern sich an. Endlich. Ein Abgesang auf eine so verbohrte wie bizarre Feindschaft.

Von Peter Burghardt

Wenn ein Reporter den Statthalter der Vereinigten Staaten von Amerika auf Kuba besuchen wollte, dann ging das vor Jahren so: Man bewarb sich um einen Termin in der US-Interessenvertretung in Havanna an der Uferpromenade Malecón im Stadtteil Vedado. Dieser Kasten ist die Ersatzbotschaft nach Art der Ständigen Vertretungen von BRD und DDR, die es unterdessen nur noch als Kölschkneipen gibt - die diplomatischen Beziehungen zwischen Eiland und Großmacht wurden ja 1961 abgebrochen, die Wiederbelebung steht erst 2015 an. Bevor es also zum Chef der US-Mission ging, prüften erst Medienleute des State Department den Interessenten. "Wir wissen, dass wir auf der richtigen Seite sind", raunte die Pressedame. Der Besucher war sich da weniger sicher, schaffte es aber dann trotzdem zu James Cason.

Der damalige Ersatzbotschafter Cason war der Prototyp des republikanischen Falken im kommunistischen Feindesland. Zu seinen Auszeichnungen gehört ein Preis des Geheimdienstes CIA, und für Fidel Castro hatte er nur Zynismus übrig. Den Revolutionsführer hielt er für einen Dino aus Jurassic Park: "Der Typ sagt, er bleibt sein ganzes Leben, oh my God." Die zauberhafte, wenngleich vereinzelt baufällige kubanische Hauptstadt kam ihm vor "wie ein Schlachtfeld". Dabei hatte Mr. Cason aus seiner Bastion, in der er gerne kubanische Dissidenten empfing, einen grandiosen Blick auf das Meer - und die antiimperialistische Tribüne José Martí.

Dieser Versammlungsplatz entstand erst zur Jahrtausendwende. Er bildet den bizarren Höhepunkt des jahrzehntelangen Nachbarschaftsstreits. Damals wurde der Kubanerjunge Elián González auf einem Reifen an die Küste Floridas geschwemmt; zwischen Kuba und den USA liegen nur 90 Seemeilen. Seine Mutter war beim Versuch der Flucht auf einem Floß ertrunken, das Kind überlebte und landete bei der ausgewanderten Verwandtschaft in Miami. Sein Vater bemühte sich zu Hause um die Rückgabe des verlorenen Sohnes. Nach zähem Ringen schickte ihn die US-Einwanderungsbehörde schließlich heim, zuvor hatte Kuba unter Leitung der Regierung massenhaft demonstriert - und der Ersatzbotschaft der USA eben diese patriotische Riesenbühne vor die Tür gesetzt. Da wehten die Fahnen, und da schepperten die Boxen, bis den Yankees nebenan die Ohren pfiffen. Eine Büste des kubanischen Nationalhelden Martí mit einem Miniaturmodell des kleinen Elián im Arm weist bis heute anklagend zur US-Repräsentanz. Wobei das Volk seither witzelte, die Geste bedeute so viel wie: "Da drüben gibt's die Visa."

Big Brother USA reagierte mit einem enormen Elektrobildschirm an der Fassade seiner Niederlassung, mit roter Leuchtschrift verwies die Supermacht auf die Menschenrechte - kurioserweise während des Feldzugs im Irak. Es war eine skurrile Spätphase des Kalten Krieges in einer Region, in der es meistens schön warm ist. In Washington regierte George W. Bush, in Havanna seit Menschengedenken Fidel Castro. "Wie mutig sind die Kakerlaken", spottete Castro auf seiner Tribuna Antiimperialista, "Bushilein scheint ihnen den Auftrag gegeben zu haben." Er meinte Bushs Diplomaten und die roten Leuchtbuchstaben gegenüber. Seither hat sich viel getan.

Barack Obama und Raúl Castro haben sich gerade feierlich die Hand gegeben und nett unterhalten. Schon bald sollen nach mehr als einem halben Jahrhundert die richtigen Botschaften wieder eröffnet werden. Womöglich fällt sogar das so stumpfsinnige wie zerstörerische Embargo. Es hat Kuba einerseits Milliarden gekostet und diente andererseits als Argument für die angeblich permanente Bedrohung. Obama hat erkannt, dass der Boykott ein Desaster war. Und Castro II. versteht besser als Castro I., dass die Zuckerinsel Unterstützung braucht. Der einstige Hauptsponsor Sowjetunion ist längst zerbrochen, und das Ölreich Venezuela ein wackliger Mäzen. Mit privaten Lizenzen entstehen inzwischen sogar Golfplätze auf Kuba. Angesichts dieser Entwicklung ist es an der Zeit, einen Abgesang auf eine der großen Propagandaschlachten der Geschichte zu wagen.

1959 stürzten die Castros, Che Guevara und ihre Kumpane den kubanischen Diktator Fulgencio Batista, einen Freund des Weißen Hauses. Ihre Eroberung begann auf einer Yacht namens Granma, Großmama. Die Sieger verstaatlichten Unternehmen, und die amerikanischen Mafiosi um Meyer Lansky zogen ab. Die USA riefen zum Boykott auf, Kuba näherte sich der fernen UdSSR. Söldner im Dienst der CIA fielen erfolglos in der Schweinebucht ein, Killer wollten Castro mit giftigen Zigarren ermorden. 1962 stand die Welt wegen Moskauer Atomraketen auf Kuba am Rande der nuklearen Katastrophe. Kennedy gegen Chruschtschow. Mitten in der Karibik.

Der Russe packte die Sprengkörper zum Glück wieder ein, Castro tobte. Die USA verzichteten ihrerseits auf weitere Invasionen, aber man ging sich weiterhin zuverlässig auf die Nerven. "Socialismo o muerte", lautete der Schlachtruf auf der Insel. Sozialismus oder Tod. Und natürlich: "Hasta la victoria siempre", immer bis zum Sieg. Der US-Stützpunkt in der kubanischen Bucht von Guantánamo wurde indes zum berüchtigten Gefangenenlager. Kubas Regimekritiker gerieten immer mal wieder in Kubas Zellen. Fünf kubanische Agenten wurden in den USA eingesperrt, ein amerikanischer Agent saß in kubanischer Haft. Das US-Radio Martí strahlte Wutprogramme gegen die Castros aus, Kubas Störsender hielten dagegen. Der Riss ging oft durch Familien, von denen ein Teil auf Kuba wohnt und ein anderer Teil in den USA, etwa in Miamis Little Havana. Dabei leben die Daheimgebliebenen nicht selten von den Dollars emigrierter Verwandter.

Ein frustrierter Exilkubaner zeigte einem 2009 - zum 50. Revolutionsjubiläum - in Miami mal seine alte Propellermaschine. Mit ihr hatte der Veteran die Heimat von den Castros zurückerbeuten wollen (er gab dann aber auf und verkaufte das gute Stück). Ein Mitstreiter Castros von einst wiederum präsentierte dem Gast in Havanna stolz sein Modell des Rebellenschiffs Granma. "Señores imperialistas, no les tenemos ningún miedo!", steht nach wie vor auf einem legendären Transparent mit Comicfiguren von Gringo und Kubaner: "Meine Herren Imperialisten, wir haben überhaupt keine Angst vor euch!"

Das Plakat hängt noch in Havanna, doch es verblasst, wie all die anderen Sprüche auch. Schon machen Witze die Runde, dass bald "Compañeros imperialistas" draufstehen wird, Genossen Imperialisten.

Der amerikanische Hardliner James Cason schaffte es seinerzeit auch in kubanische Propaganda-Cartoons. Mittlerweile ist er Bürgermeister des Städtchens Coral Gables, südwestlich von Miami. Bald fährt von dort wieder eine Fähre nach Havanna.

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SZ vom 16.05.2015
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