Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Was steht da drin?

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Luisa Neubauer ist Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin. Und das hier ist ihr Lieblingsbuch. Warum?

Von Georg Cadeggianini

Kann man das lesen?

Einerseits ja: Das Buch ist lieferbar, 431 Seiten stark, 494 Gramm schwer, schwarze, sehr kleine Buchstaben auf weißem Papier, auf Deutsch. So weit, so normal. Der Text ist 44 Jahre alt, elternalt also. Vor zweieinhalb Jahren wurde er noch mal neu aufgelegt. "Neu aufgelegt" sagt man, wenn Texte noch mal mit neuer Verpackung gedruckt werden. Diesmal: grüner Umschlag, gelber Titel und hinten drin ein Nachwort von Robert Habeck, jetzt Vizekanzler, Wirtschafts- und Klimaschutzminister.

Andererseits nein: Es ist einfach zu kompliziert. Nur wenige Erwachsene verstehen das überhaupt. Deswegen kommt hier auch eine vereinfachte Kurzfassung, weiter unten.

Für wen hat Hans Jonas das geschrieben?

Vorne drin, auf Seite 5, steht: Meinen Kindern Ayalah, Jonathan, Gabrielle. Aber damit hat er nicht gemeint, dass es kein anderer lesen darf. Es ist eine Widmung. Widmung heißt eher: An die habe ich während des Schreibens besonders oft gedacht. Vielleicht kann man sich erst mal überlegen, gegen wen er das Buch geschrieben hat? Und da nennen viele den Namen Ernst Bloch. Der hat ein Buch geschrieben, das heißt "Das Prinzip Hoffnung". Die Antwort von Hans Jonas: Die Hoffnung genügt schon lange nicht mehr. Aber vielleicht stimmt doch, was da auf Seite fünf steht. Er hat es für die nächsten Generationen geschrieben ...

Warum interessiert das die Klimabewegung?

Das Buch gilt als philosophische Grundlage für die politische Diskussion. Die Grundfrage des Buchs lautet: Wie gehen wir mit dem technologischen Fortschritt und seinen Folgen für unsere Welt um? Dürfen wir Atomkraft nutzen, CO₂ im Meeresboden verpressen, Geo-Engineering nutzen? Hans Jonas glaubt nicht, dass wir in Zukunft auf einen besseren, clevereren Menschen hoffen können. Wir müssen jetzt handeln, um die Zukunft gut zu gestalten. Viele mögen an dem Buch gerade diese Dringlichkeit und Wucht. Kümmert euch drum! Jetzt!

Und was steht denn nun drin?

Eine Menge. Zum Beispiel der ökologische Imperativ. Hans Jonas mag Immanuel Kant. Das ist ein noch viel bekannterer deutscher Philosoph, der vor 300 Jahren geboren wurde und den sogenannten kategorischen Imperativ erfunden hat. Hans Jonas will dieses moralische Handlungsprinzip erweitern. Weil heute alles weltweite und langfristige Auswirkungen hat. Das müsse man berücksichtigen. Zum 100. Geburtstag wurde sein ökologischer Imperativ auf eine Briefmarke der Deutschen Post gedruckt: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden". Kostet 2,20 Euro und heißt: Wir haben die Verantwortung, die Erde so zu behandeln, dass auch in Zukunft Menschen dort leben können. Zukünftige Generationen haben Rechte. Aus diesen Rechten können sie Ansprüche ableiten, die die Macht der Gegenwart begrenzen. Wir dürfen nicht alles machen, nur weil es geht.

Macht das Angst?

Wichtig ist, sagt Jonas, dass wir uns klar werden, was uns wirklich wertvoll ist. Computerspiele? Schokoosterhasen? Dass auch die Enkelkinder hier noch leben können? In dubio contra projectum et pro malo. Hä? Ist Lateinisch, heißt so viel wie: Im Zweifelsfall lieber lassen, rechne mit dem Schlimmsten! Heißt: Verwende die Technik mit den geringsten Risiken. Neben der Hoffnung, sagt Jonas, brauchen wir den Motor Furcht. Er nennt das - Achtung, schwieriger Begriff, mit dem man aber beim Abendessen angeben kann: Heuristik der Furcht.

Und der Vizekanzler schreibt ein Nachwort?

Als die Neuauflage gedruckt wurde, war Robert Habeck Vorsitzender der Grünen und nicht in der Regierung. Zu dem Buch aber hat er eine besondere Beziehung. Er selbst hat Philosophie studiert, nennt den Text aber "harten Tobak". Er hat das Buch zu seinem 15. Geburtstag geschenkt bekommen und gelesen. Die Ausgabe von damals hat er immer noch. Sie ist ziemlich vollgekritzelt. Anmerkungen eines "Naseweis", wie er selbst sagt. Sein Nachwort dagegen kann man ganz gut lesen.

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Quelle:
SZ vom 11.03.2023
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