Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Die Kinder mögen keine Bücher!

Lesezeit: 2 Min.

Was tun, wenn man selbst leidenschaftlicher Leser ist, aber die eigenen Kinder partout kein Buch zur Hand nehmen wollen? Das Trio weiß Rat.

W ir sind leidenschaftliche Leser, doch bis auf unseren Jüngsten (7) nimmt keines unserer Kinder (12, 14, 16) freiwillig ein Buch in die Hand. Ich schenke ihnen weiter Bücher, in der Hoffnung, dass das Richtige noch nicht dabei war. Das sorgt für Frust auf allen Seiten. Soll ich damit aufhören? Es sind prima Jungs und Mädchen, aber sie daddeln zu viel auf dem Handy herum. Dass Lesen für sie keine Alternative ist, kann ich nur schwer akzeptieren. Uwe St. aus Berlin

Margit Auer:

Das Handy ist wirklich ein Fluch. Neulich saß ich in der U-Bahn, als ein Vater mit seiner etwa vierjährigen Tochter das Abteil betrat. Die beiden unterhielten sich. Sie waren die Einzigen im Wagen, die miteinander plauderten. Um sie herum starrten wirklich alle Fahrgäste in ihre Handys. Niemand las Zeitung, keiner blätterte in einem Buch. Ich auch nicht. Beschämt steckte ich mein Handy weg. Ich habe das Gefühl, dass Sie sehr viel richtig machen. Sie lesen selbst, und in Ihrem Haushalt liegt genügend Lesestoff herum, nach dem man nur greifen müsste. Jetzt müsste nur noch das Wlan ausfallen und alles wäre gut. Da das leider zu selten der Fall ist, rate ich dazu, Gutscheine zu verschenken anstatt Bücher. Die Kinder sollen selbst in der Buchhandlung stöbern. Nach meiner Erfahrung stehen Teenager nicht mehr so sehr auf fiktionale Stoffe. Sie mögen lieber "echte" Geschichten, zum Beispiel Biografien von Musikerinnen, Sportlern oder Politikern. Bleiben Sie dran! Und mein Appell an alle hier: Lesen Sie Bücher! Lesen Sie Bücher in der Öffentlichkeit!

Herbert Renz-Polster:

Ach, wie gut ich das verstehe! Einer meiner Söhne hat es auch geschafft, fast ohne Berührung mit holzhaltigem Material durch eine von Büchern umstellte Kindheit zu kommen. Und wir sind trotzdem jedes Mal platt, wie schnell der junge Mann, der er inzwischen ist, bei Bedarf alle Informationen organisiert, die er braucht (auch aus Handbüchern, wenn es sein muss). Lesen ist tatsächlich eine unter Menschen extrem variant veranlagte Kompetenz, bei manchen Kindern fließt das wie ein Bergbach, bei andern nur in Tropfen. Und daraus wird dann selbst durch Quetschen und Üben wie blöd kein gescheiter Fluss. Sie können Angebote machen, aber mehr auch nicht. Da tut es gut, dass Sie das Entscheidende mit erwähnt haben: Es sind prima Kinder. Die halten ein wenig Genöle Ihrerseits schon aus, aber übertreiben sollten Sie es nicht.

Collien Ulmen-Fernandes:

Der Wunsch, dass die Kinder Bücher lesen, begegnet einem ja immer wieder unter Eltern und drückt, glaube ich, eine alte Sehnsucht aus nach Zugehörigkeit zu einer Bildungsbürgerschicht. Wenn man fies wäre, würde man sagen, dass Klassendenken dahintersteckt, wenn man eine narrative Form gegenüber der anderen bevorzugt, sprich Roman oder Erzählband gegenüber Computerspiel. Was ich besser finde, ist ein ausschließlich inhaltliches Bewerten von Erzählformen. Wohin führt mich der Inhalt, welche Figuren bietet er mir an, beinhaltet er interessante neue Gedanken, Horizonte, die mein Kind sehen sollte und für die es im Nachhinein dankbar ist? Und dann, da bin ich wieder bei Ihnen, bietet Literatur eine sehr große Auswahl von Welten. Vielleicht ist es ein Anfang, wenn wir dem Buch nicht per se eine Höherwertigkeit zubilligen, wie beim Salat, den Kinder deshalb hassen, weil er ihnen dauernd als das selig machende Lebensmittel angeboten wird. Vielleicht tauchen Sie, um den Anfang zu machen, einfach mal in die Welt Ihrer Kinder ein und finden anhand der Themenwelten, die Ihre Kinder bewegen die zu ihnen passende Literatur?

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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