Süddeutsche Zeitung

Italien:Italiens früherer Finanzminister muss keinen Cent an Exfrau zahlen

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Von Ulrike Sauer, Rom

Die Geschichte beginnt am Ufer des Ontariosees, im US-Bundesstaat New York. Er ist Mailänder, junger Spross einer italienischen Industriellenfamilie, den BWL-Abschluss der Elite-Hochschule Bocconi in der Tasche. Sie ist Amerikanerin, sehr auffällig, sehr hübsch. Beide studieren an der Universität Rochester. 1985 funkt es zwischen Vittorio Grilli und Lisa Lowenstein. Liebesglück, Heirat, Aufstieg, viel Geld, Macht. Seine brillante Karriere führt das Paar nach Yale, London, Rom. Die Geschichte endet nun, 30 Jahre später, vor dem italienischen Kassationsgericht am Tiberufer. Mit einem bahnbrechenden Urteil: Grilli, ehemaliger italienischer Finanzminister und heute JP-Morgan-Banker, muss keine Unterhaltszahlungen an seine Exfrau leisten.

Angerufen hatte Lisa Lowenstein den Obersten Gerichtshof in Rom mit ihrem Einspruch gegen ein 2013 gefälltes Scheidungsurteil. Sie unterlag, und er triumphiert nun: "Ich habe eine lange Schlacht gewonnen. Das ist vermutlich ein historisches Urteil", kommentierte Grilli, 59, aus den USA den Richterspruch der Ersten Kammer.

Die hypothetische Floskel kann er sich sparen. Die Entscheidung des Kassationgerichts wird italienische Rechtsgeschichte schreiben. Sie schafft den Rechtsanspruch auf eine Beibehaltung des ehelichen Lebensstandards auch nach der Auflösung der Verbindung ab. Zum Kriterium für die Festlegung der Unterhaltszahlung wird nun allein die finanzielle Bedürftigkeit des Ex-Partners. Konkret heißt das: Wer finanzielle Unterstützung vom geschiedenen Gatten verlangt, muss nachweisen, nicht über ein ausreichendes Auskommen zu verfügen und sich das Geld nicht selbst verdienen zu können.

"Die Ehe ist kein Geschäft"

Gian Ettore Gassani, Präsident der italienischen Scheidungsanwälte, nennt das Urteil epochal. Der Wind habe sich gedreht, sagt Gassani. Die Zeit sei vorbei, als geheiratet wurde, um sich ein Leben lang unterhalten zu lassen. "Die Ehe ist kein Geschäft", sagt er. In ihrem Urteil stellen sie ausdrücklich fest, dass eine Ehe inzwischen kein "definitiver finanzieller Unterschlupf" mehr ist. Die Heirat sei im Laufe der Zeit zu einem "Akt der Freiheit und Selbstverantwortung" geworden.

40 Jahre nach der Einführung des Scheidungsrechts in Italien fällt nun der Anspruch auf eine ewige Bewahrung des in der Ehe geführten Lebensstils weg. Bisher zogen die Anwälte begüterter Klägerinnen mit Fotos von Luxusreisen, mit Pelzmänteln und Schmuckgeschenken vor den Richter, um ihre Forderungen nach üppigen Unterhaltszahlungen zu untermauern. Jetzt gilt der Grundsatz: Die Scheidung beendet nicht nur die persönliche Beziehung, sondern auch die wirtschaftliche. Kinder sind von der neuen Regelung nicht betroffen.

Das Kassationsgericht passt die Gesetzeslage in Italien nun an die Situation in anderen europäischen Ländern an. Die Rechtsprechung hinkt dabei der Gesellschaft hinterher. Denn die Realität sieht auch in Italien längst anders aus, als es die Paragrafen nahelegen.

In den Achtzigerjahren wurden in 60 Prozent der Eheauflösungen Unterhaltszahlungen festgelegt. 2016 war der Anteil auf 19 Prozent gesunken. Wenn sich bei der Mehrheit der 50 000 Scheidungen im Jahr nichts ändert, so dürfte Grillis Sieg jedoch bei geschiedenen Geldleuten auf großes Interesse stoßen. "Dieses Urteil beendet eine ungebührliche Bereicherung auf dem Rücken des Ex-Gatten", sagt der Anwalt des früheren Finanzministers, der 2014 von JP Morgan zum Verwaltungsratschef des Investmentbankings in Europa, dem Nahen Osten und Afrika berufen wurde. Auf Italiens Promi-Anwälte kommt Arbeit zu. Silvio Berlusconi zum Beispiel ist dazu verdonnert worden, seiner Exfrau Veronica drei Millionen Euro zu überweisen. Im Monat.

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SZ vom 12.05.2017
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