Süddeutsche Zeitung

Hitze:Vor uns ein schöner Sommertag - nach uns die Sintflut

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Kann man eine Sache gleichzeitig toll und weltuntergangsschlimm finden? Die Hitzewelle zeigt: Es geht. Über den Zwiespalt dieses Sommers.

Kommentar von Felicitas Kock

Die Sommerhitze lässt einen inneren Zwiespalt gedeihen: Vor uns ein schöner Sommertag - nach uns die Sintflut. Rational mag man sich fragen, wie unsere Kinder und Enkel künftig auf dieser Erde leben werden, die uns schon jetzt die Wetterextreme wie einen Spiegel vor Augen hält. Das Herz aber juchzt: Aperitivo! Eis! Badesee!

Der Mediterranisierung unseres Lebens entsprechen endlich auch die klimatischen Bedingungen. Der Aperol Spritz entfaltet seinen Geschmack einfach besser bei 30 Grad im Schatten. Hinzu kommt die Freude über freibadtaugliche Tage und laue Nächte, über gebräunte Haut und eisverklebte Lippen. Morgens der Griff zum Sommerkleid, abends der Weg in den Biergarten, und der stille Wunsch, dieses süße, leicht angeschwitzte Leben möge immer so weitergehen.

Gleichzeitig dürfte auch beim letzten vernunftbegabten Menschen eingesickert sein, dass die Häufung extremer Hitzeperioden mit dem menschengemachten Klimawandel zusammenhängt. Als Mahner sprach vergangene Woche der deutsche Astronaut Alexander Gerst: Es sei erschreckend, von der ISS aus den gerodeten Regenwald, die verschwindenden Gletscher und austrocknenden Seen zu sehen, sagte der Astronaut. Oben werde ihm klar, dass man die Steinkugel Erde "locker verpesten kann, dass sie unbewohnbar ist". Aber Gerst hat auch keinen Eisbecher vor sich, um sich den Klimawandel zu versüßen.

Was er beschreibt, ist die Realität. Aber sie bleibt abstrakt, zumal wenn man nicht in Somalia wohnt, wo die Dürre die Menschen in den Hungertod treibt, oder auf Inseln der Südsee, die über kurz oder lang zu versinken drohen. Hierzulande spürt man als Büroangestellter, der den ganzen Tag im klimatisierten Raum verbringt und abends gemütlich mit Freunden zusammensitzt, vor allem diese herrliche Freiheit, die da endlich aus südlichen Gefilden bis zu uns geschwappt scheint.

Von den staubigen Äckern und braunen Wiesen, über die die Bauern klagen, will niemand etwas hören, wenn im Freibad die Kinder planschen. Dabei müsste auch Nicht-Landwirte, die für ein paar Minuten den Kopf aus der Sonne nehmen, in diesen Wochen das kalte Grausen packen. Die eigene Existenz dürfte man ja noch ganz gut zu Ende bringen. Aber was wird in 50, in 100, in 150 Jahren sein? Zumal wenn die in Paris gesteckten Klimaziele nicht erreicht werden, der amtierende US-Präsident diesbezüglich nie Ziele hatte und gerade erst ein paar Millionen Menschen ihren ökologischen Fußabdruck um ein paar Nummern vergrößert haben, indem sie mit dem Ferienflieger nach Mallorca oder auf die Malediven geflogen sind. Oder nach Spitzbergen, Eisbären gucken.

Was werden unsere Kinder und Enkel sagen, wenn sie auf uns zurückblicken und sehen, wie verdammt sorglos wir mit der Erde umgegangen sind? Oder ist das am Ende gar keine Sorglosigkeit mehr, sondern schon Resignation? Fragt man sich, während man auf einem Plastikschwimmtier über den Badesee treibt, zu dem man an diesem Sonntag zwei Stunden gebraucht hat, weil sich auf der Autobahn Stoßstange an Stoßstange reihte.

Wie nahe Freude und Leid aneinanderliegen, zeigte zuletzt eine "Brennpunkt"-Sendung der ARD. Es ging um die Dürre in Deutschland, um einen Waldbrand in Brandenburg. Schwere Themen, denen sogleich die Wucht genommen wurde mit einem Beitrag, bei dem die Reporterin mit den Füßen in einem Duisburger Brunnen stand. Später folgten aktuelle Zahlen zum Speiseeisverbrauch (die Deutschen werden den Rekord von acht Litern pro Person diesen Sommer brechen). Auf Norderney freute sich ein Golfer über den ausgedörrten Platz, der die Bälle lang laufen lässt. Dazu passt, dass der US-Nachrichtensender CNN das heiße Deutschland gerade als Reiseland entdeckt hat und auf seiner Internetseite die besten Strände vorstellt - von Amrum bis zum Münchner Isarstrand. Waldbrand trifft Sonnenbrand. Endzeitstimmung trifft Ferienlaune. Und im Ohr hängt ein Lied der Gruppe K.I.Z.: Hurra, die Welt geht unter!

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