Süddeutsche Zeitung

Hell's Kitchen (XCI):Scotch

Lesezeit: 2 min

Unser Kolumnist verbringt einen interessanten Abend als Gast der German Society einer Kleinstadt in Illinois. Es gibt Weißbier, Scotch und als Gaststar tritt ein totes Reh auf. Und am Ende heben alle die Gläser.

Von Christian Zaschke

Es tut jetzt gar nicht unbedingt etwas zur Sache, warum das so war, aber am vergangenen Wochenende fand ich mich beim wöchentlichen Dinner einer German Society, einer deutschen Gesellschaft, in einer Kleinstadt in Illinois wieder. Den Mitgliedern der German Society war gemein, dass sie wenig bis gar kein Deutsch sprachen. Insofern war ich in ihrem Kreise ein Exot, denn mein Deutsch ist ganz passabel.

Das Dinner kostete 13 Dollar. Ich hatte gleich am Eingang passend bezahlt und zwei Dollar Trinkgeld hinterlassen. Bald darauf lagen die 15 Dollar wieder auf meinem Tisch. Meine Tischnachbarn, zwei ältere Herren namens Allan und Paul, beschieden, dass ich als Deutscher in der German Society natürlich eingeladen sei. Als es mir kurz danach gelang, mich zu revanchieren, indem ich den beiden heimlich die Getränke ihrer Wahl - Scotch für Allan, Weißbier für Paul - an der Bar besorgte, brach immenser Verdruss aus und ein großes Palaver hob an, wie es sein könne, dass der Ehrengast etwas bezahlt hatte. Ich nutzte die Verwirrung, um Allan einen weiteren Scotch hinzustellen, den er erfreut leerte. Für seine 84 Jahre hatte er einen ordentlichen Zug am Leib. Damit hatte ich den Bogen jedoch überspannt. Das Geld wurde mir in grimmiger Großzügigkeit erstattet.

Apropos Bogen. Paul telefonierte inmitten des Palavers mit seinem Bruder, der gerade ein Reh geschossen hatte, das Tier aber nicht finden konnte. Das lag daran, wie man mir erklärte, dass Pauls Bruder mit Pfeil und Bogen jage und Rehe nach dem Treffer üblicherweise noch eine Weile weiterliefen. Man beriet, ob Paul mit seinem Hund ausrücken müsse, um das Reh zu suchen, und da sich die Beratungen hinzogen, schlich ich rüber zur Bar, um mir einen kleinen Riesling und Allan einen großen Scotch zu besorgen.

Die Barfrau servierte die Getränke und sagte, sie habe die strenge Anweisung vom Präsidenten der German Society höchstselbst, kein Geld mehr von mir anzunehmen. Ich nutzte einen unbeobachteten Moment, um einen Zehner ins Trinkgeldglas zu stopfen.

Allan, die Zunge etwas lose vom Scotch, erzählte mir, dass sein Herz hin und wieder flimmere, und dass er deshalb in seinem Leben bereits 40 Mal defibrilliert worden sei.

"40 Mal?", fragte ich.

"40 Mal", sagte er.

Ich erzählte ihm, dass auch mein Herz hin und wieder flimmere, aber dass es die Art von Flimmern sei, gegen die Defibrillatoren nichts ausrichten können. Allan nickte mit der Weisheit seiner 84 Jahre.

Paul kam von der Bar, er brachte Riesling, Scotch und Weißbier. Sein Bruder hatte das Reh gefunden, darauf wollte er anstoßen. Wir hoben feierlich die Gläser.

Paul rief: "Zickezacke, Zickezacke!"

Allan antwortete mit der Weisheit seiner 84 Jahre: "Hoi, hoi, hoi."

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Quelle:
SZ vom 31.10.2020
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