Süddeutsche Zeitung

Genuss:Gerülpste Pointen

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Sie essen Tiefkühlpizza und schauen dabei Eventkochen im Fernsehen. Den Deutschen ist die Fähigkeit zum Genuss abhanden gekommen - eine Polemik

Gottfried Knapp

Es ist gut, dass es seit vergangener Woche nun eine aktuelle Statistik über die Essgewohnheiten der Deutschen gibt, doch schon der bürokratisch verkrampfte Titel "Nationale Verzehrstudie" nährt die Befürchtung, dass sich von den bitteren offiziellen Erkenntnissen nur wenig im Bewusstsein der Bevölkerung festsetzen wird. Nach der Verkündigung der wenig schmeichelhaften Ergebnisse wird sich wohl ein Anflug von schlechtem Gewissen über die übergewichtige Nation legen, doch danach werden die Deutschen zu ihren liebgewordenen Ess- und Trinkgewohnheiten zurückkehren.

Um die diversen Hysterien zu benennen, die sich in den vergangenen Jahren um kulinarische Themen herausgebildet haben, hätten wir die staatliche Verzehrstudie nicht gebraucht. Ein Blick auf die vielen Kochshows im deutschen Fernsehen hätte genügt, um zu zeigen, wie gestört das Verhältnis der Deutschen zu den kulinarischen Genussformen ist.

Die hohe Kunst des Kochens, der immer auch ein Geheimnis innewohnt, hat in allen Kulturen der Welt den Zweck gehabt, Speisen von außerordentlicher Qualität hervorzubringen. Nicht die grässlich banalen, ewig gleichen Tätigkeiten des Waschens, Zuschneidens, Umrührens und Abschmeckens waren das Ziel der Übung, sondern der allsinnliche Genuss, den eine fertige Mahlzeit, ein schön arrangiertes, verführerisch duftendes, hinreißend schmeckendes, ja im Idealfall die Mundhöhle mit taktilen Finessen schmeichelndes Gericht dem Tafelnden darbot.

Genau dieses Urziel aller kochkünstlerischen Anstrengungen bleibt aber in den verkasperten Kochshows des deutschen Fernsehens restlos ausgespart. In den hässlichen Kochstudios der Sender gibt es für die Zuschauer nichts zu essen, nichts zu riechen, zu schmecken oder zu beißen, es gibt, wenn es hoch kommt, allenfalls manches zu lachen.

Die hohe Kultur des Zubereitens, Servierens und Genießens von Mahlzeiten ist im deutschen Fernsehen zur Comedy-Show mit gleichsam gerülpsten Pointen verkümmert; Essen ist nur noch ein Anlass für Juxereien auf einem nach unten weit offenen Niveau.

Entsprechend sind auch die Akteure am Herd ausgewählt: Sie mögen in irgendeinem Restaurant als Köche kulinarisch kreativ gewesen sein - hier müssen sie nur noch zum Schreien komisch sein. Waldschrattypen, denen pausenlos dumme Sprüche aus dem Maul fallen, sind darum als Zelebranten der Fernseh-Kulinarik besonders beliebt.

Und wenn sie zwischendurch mal den Rührlöffel zum Mund führen, sabbern sie reflexartig jenes Ekelwort "lecker" heraus, das in seiner erbärmlichen Unsinnlichkeit den Tiefstand des kulinarischen Bewusstseins in Deutschland markiert.

Auf der nächsten Seite: Schrilles Glitzern am Herd

Über die Kunst des Kochens und Genießens, die in fast allen Ländern einiges Ansehen genießt, lachen sich die Deutschen also am liebsten kaputt. Dass der Zuschauer einer Kochshow nach seiner Lieblingssendung aufsteht und sich in der Küche aus frischen Zutaten etwas Essbares zubereitet, ist schlicht unvorstellbar.

Sein kulinarischer Alltag erschöpft sich im Einwerfen von Trockenfutter aus Plastikbeuteln. Dazu eine Anmerkung aus der Statistik: Der Anteil der Fertiggerichte im Speiseplan deutscher Familien ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen.

Ähnlich wirkungslos sind die diversen Wellen der Kochbuch-Euphorie über Deutschland hinweggeschwappt. Nirgendwo wird so viel über Essen und Trinken geschrieben und so wenig Gebrauch von diesem ausgebreiteten Spezialwissen gemacht wie in Deutschland. Inzwischen sind aus den ursprünglich handlichen Rezeptbüchern - man hat sie früher neben den Herd gelegt, um sie beim Kochen zu studieren - monströse Prachtbildbände geworden, die keine Fettspritzer dulden.

Als Kochhilfen sind diese Bücher völlig unbrauchbar, ja im Grunde nur mit Lesepult zu genießen; auf geradezu pompöse Weise markieren sie den gesellschaftlichen Rang, den das Tafeln und Verzehren exquisiter Besonderheiten in den oberen Schichten erlangt hat. Von einer kulinarischen Alltagskultur, wie sie in den Ländern des Mittelmeerraums überlebt hat, sind diese Luxusbände meilenweit entfernt. Auch dazu eine statistische Anmerkung: Noch nie haben die Deutschen für Essen prozentual weniger ausgegeben als in den vergangenen Jahren.

Schrilles Glitzern am Herd

Die Ansprüche auf kulinarischem Sektor driften in Deutschland also ständig weiter auseinander. Auf der einen Seite wächst der Zahl der international konkurrenzfähigen Spitzenrestaurants, deren Küchenchefs kultisch gefeiert werden. Jeder neue Stern, jede neue Kochmütze in den einschlägigen Fressführern scheint von einer breiten kulinarischen Aufwärtsbewegung im Lande zu künden. Doch die Branche der gehobenen Gastronomie ist extrem krisenanfällig und von zahllosen Zufälligkeiten abhängig. Nirgendwo wechseln die Kreativen der Szene so oft und so nervös die Stellen wie im anspruchsvollen Gastgewerbe.

Dass jedes Jahr ähnlich viele Restaurants der oberen Güteklasse geschlossen wie eröffnet werden, blenden die Statistiken meist gnädig aus. Im Grunde hat sich der Prozentsatz der Bevölkerung, der bereit ist, für eine individuelle Speisenfolge von illustrer Qualität in Ausnahmefällen deutlich mehr auszugeben als für ein Durchschnittsmahl in einer einfachen Gaststätte, nie verändert. Auch das schrille Glitzern, das die Klatschpresse so gerne um die Treffpunkte der Prominenz breitet, hat dem obersten Segment der Gastronomie kaum neue Kunden zugeführt. Nur über artistische Show-Darbietungen in nostalgischen Spiegelzelten - Stichwort Palazzo - ist es einigen Spitzenköchen gelungen, ein breiteres Publikum anzulocken.

Am anderen Ende des Spektrums aber, im Fastfood-Bereich, blühen die Geschäfte wie nie zuvor. In vielen deutschen Städten sind Kettenbratereien, die von unterbezahlten Hilfskräften geleitetet werden, die einzigen gastronomischen Betriebe, die sich im Zentrum halten können. Ein ständig wachsender Teil der Bevölkerung nimmt Speisen tagsüber nur noch im Stehen oder gar im Gehen zu sich.

Die Gründe dafür sind längst nicht mehr nur zeitlicher und finanzieller Natur. Hunger und Appetit werden nicht mehr als ein Geschenk empfunden, als Chance, sich etwas Angenehmes zu gönnen, sondern als Angriff, den man möglichst spontan und fundamental abwehren muss. Es fehlt vielen Deutschen ein Grundeinverständnis mit den Bedürfnissen ihres Körpers, oder genauer gesagt: die Kenntnis spezifischer geschmacklicher Eigenheiten, die Fähigkeit, Speisen differenzierend zu beurteilen und als etwas Individuelles zu genießen. Da sind uns die Franzosen, aber auch die Italiener um einiges voraus.

Wenn die von nationalen wie internationalen Vergleichsstudien aufgescheuchten Deutschen also im europäischen Kontext etwas lernen können, dann ist es das Differenzieren und Genießen auf kulinarischem Sektor und das Verständnis für die Vielfalt von Geschmacksrichtungen, die uns die Natur zur Auswahl anbietet. Das Grundwissen darüber müsste in den Schulen vermittelt werden.

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Quelle:
SZ vom 5.2.2008
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