Süddeutsche Zeitung

Ehrenamt:Was ostfriesische Frauen in einem Zonta-Club machen

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Im Alter fehlt vor allem Frauen das Geld, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ein Verein in der Nähe von Emden kämpft dagegen.

Von Thomas Hahn

Frau Janssen starb am 26. Dezember im Alter von 83 Jahren. Pastor Jörg Schmid durfte die Grabrede halten, deshalb ist ihm ihre Geschichte besonders gegenwärtig. Frau Janssen heißt eigentlich anders, aber das ist egal: Sie war eine aufrechte Frau aus dem ostfriesischen Hinterland, die keinen Überfluss kannte, keine Ausbildung hatte, früh ihre erste Tochter bekam, eines Tages den gewalttätigen Ehemann vor die Tür setzte. Sie lebte lange von ihren Jobs als Putzfrau, vom Gemüse im Garten und von ihren Tieren. Und als sie alt war, hatte sie nicht viel mehr als ihren sanften Stolz und ihr kleines, dunkles Haus in den Feldern hinter Aurich. Wenn Schmid sie dort besuchte, wusste er nie so genau, wie sie zu ihrer Armut stand. Sie servierte Tee, klagte nicht, erzählte von Familie und Handarbeiten. Aber er ist sich sicher, dass sie sich freute, wenn er ihr etwas Geld oder ein Paket von den Zonta-Frauen aus Leer brachte.

Das Wort Zonta stammt aus dem Indianischen, genauer gesagt aus der Sioux-Sprache Lakota. Es bedeutet "ehrenhaft", "aufrichtig", "vertrauenswürdig" und beschreibt den Geist, in dem der Frauen-Service-Club Zonta International im November 1919 in Buffalo, USA, gegründet wurde. Es geht um Gleichstellung und Frauenrechte. Es geht aber auch um eine Hilfe ohne bürokratische Umstände und schalen Zweifel an den Mitmenschen.

1200 Zonta-Clubs gibt es in 63 Ländern, der gemeinnützige Zonta-Club Leer-Ostfriesland ist nur einer davon. Trotzdem sticht er heraus. Seine Frauen haben den Deutschen Engagementpreis gewonnen für ihr Projekt "Moje Tieden" gegen Altersarmut. Und das hat wohl damit zu tun, dass ihre Hilfsbereitschaft, die auch bei Frau Janssen ankam, besonders umstandslos wirkt.

Die Unternehmerin und Leeraner Zonta-Präsidentin Ute Watermeyer steuert ihren BMW durch die ostfriesische Niederung. Es ist ein trüber Wintertag, die knorrigen Bäume sehen im Nebel aus wie gebeugte Gestalten. Aber Ute Watermeyer strahlt einen sonnigen Eifer aus. Sie hat verschiedene Termine mit den sogenannten Kooperationspartnern von Zonta organisiert, etwa mit dem Auricher Pastor Schmid, damit vor allem die über Altersarmut berichten, die dieser regelmäßig ins Gesicht schauen. Die Zonta-Frauen beschaffen das Geld und stellen es bei Bedarf schnell zur Verfügung. Verteilen sollen es die, die am besten wissen, wo es gebraucht wird, Kirchen eben oder Wohlfahrtsverbände wie die uralte Emdener Institution "Diaconie der Fremdlingen Armen seit 1558".

Altersarmut ist ein gesamtgesellschaftliches, eher beiläufig behandeltes Problem. In Ostfriesland ist es jetzt nur etwas mehr im Gespräch, weil die Zonta-Frauen, auch Zontians genannt, sich darum kümmern mit ihrem preisgekrönten Projekt. "Moje Tieden" ist Plattdeutsch und heißt schöne Zeiten. Der Ausdruck steht für einen Anspruch, der über das Geldgeben hinausgeht. Altersarmut in Ostfriesland heißt normalerweise nicht, dass jemand hungert oder auf der Straße lebt. "Armut bedeutet, wenn die Teilhabe am niederschwelligen gesellschaftlichen Leben nicht mehr möglich ist", sagt Diaconie-Geschäftsführer Heino Ammersken in Emden. Die Betroffenen bleiben nur noch in ihren vier Wänden, weil sie sich eine Busfahrt oder ähnliche Selbstverständlichkeiten nicht leisten können, sparen an Heizung und Strom, wollen niemandem zur Last fallen.

Frauen sind von Altersarmut besonders betroffen. Die Männergesellschaft drängte sie einst in die Rolle der Hausfrau. Nach dem Tod des Gatten bleibt dann oft nicht mehr viel. Eine Witwe bekommt 60 Prozent von der Rente des verstorbenen Ehemannes. In einer Wohlstandswelt der steigenden Preise ist das allenfalls zum Sterben zu viel. Das Zonta-Geld fließt deshalb nicht nur in konkrete Hilfen, Taxifahrten zum Arzt, Orthopädieschuhe, andere notwendige Anschaffungen. Sondern tatsächlich in schöne Zeiten für die bedürftigen Frauen. In Feiern, Konzertbesuche, Ausflüge. Oder in Weihnachtspakete.

Wertschätzung, die die Frauen nicht gewöhnt sind

Doris Wiemann ist Pastorin in Barenburg, einem sozialen Brennpunkt von Emden. Sie führt eine Liste von bedürftigen Frauen, darunter viele Aussiedlerinnen aus Russland. Wiemann besucht sie, hört ihnen zu. Und in der Weihnachtszeit bringt sie ihnen Pakete, genauer gesagt mit Geschenkpapier verkleidete Schuhkartons, welche die Zontians gefüllt haben mit Kerzen, Sternen, Süßigkeiten, Kaffee, Tee, anderen Markenartikeln, die sich die Frauen nie leisten könnten.

Immer wieder ist die Pastorin bewegt von der tiefen Freude, die diese Pakete stiften. Doris Wiemann sitzt in Leer im Restaurant "Schöne Aussichten" vor dem Zonta-Vorstand und schüttet ihre helle Begeisterung aus. "Sie geben diesen Frauen eine Wertschätzung", sagt sie, "das sind sie nicht gewohnt, dass ihnen jemand so etwas schenkt. Mit Herz, mit Gedanken. Gäbe es so was öfters, gäbe es vielleicht nicht so viele rechte Frustwähler. Das ist politisch toll, was Sie machen. Das ist nicht nur so eine platte Freudesache. Das ist was Ernstzunehmendes."

Die Zontians. Später sitzen etwa 30 von ihnen an einem langen Tisch. Lauter gestandene Frauen in den besten Jahren mit Witz und Rückgrat. Sie haben die verschiedensten Berufe, sie wollen netzwerken, für Gleichstellung einstehen, auf heitere Art Gutes tun. Sie sammeln Spenden, veranstalten Lesungen, schmeißen jedes Jahr eine große Party in Aurich oder verkaufen gespendete Handtaschen. Denn: "Frauen und Taschen geht immer", sagt Ute Watermeyer. Mittlerweile gibt es auch eine Arbeitsgruppe "Stiftungen und Preise", weil Preise sich als einträgliche Quelle erwiesen haben; der Deutsche Engagementpreis brachte allein 10 000 Euro. Die Motivation? Dazu sagt Zonta-Mitglied Heidi Wahren einen Satz, den man im Grunde aus allen Reden der Zontians heraushört. Heidi Wahren leitet ein Optiker-und-Hörgeräte-Unternehmen, hat einen Gatten, der zu Hause blieb, als die Kinder jung waren, und ist die unangefochtene Bastelmeisterin im Leeraner Zonta-Club; sechs Minuten braucht sie, um einen Schuhkarton mit Geschenkpapier zu verkleiden. Warum also bekleidet sie das Ehrenamt bei Zonta? "Weil ich die Menschen liebe."

Pastor Schmid weiß noch, dass Frau Janssen das Zonta-Paket beim ersten Mal ablehnte. In den Jahren danach nahm sie es doch, aber sie bestand darauf, dem Pastor einen 20-Euro-Schein für Brot für die Welt zu geben. "Diese Würde hat mich sprachlos gemacht", sagt Schmid. Wenn er durch den dunklen Flur in Frau Janssens winzige Küche kam, war es ihm, als dränge sich ihre Armut in seine Sinne. Der modrige Geruch. Die Fünzigerjahre-Einrichtung. Gut möglich, dass der Pastor diese Atmosphäre des Mangels mehr wahrnahm als Frau Janssen selbst. Sie war jedenfalls bis zuletzt beschäftigt. Sie häkelte eine Decke für eine Enkelin. Zwei mal zwei Meter. Als Weihnachtsgeschenk. Am 23. Dezember war es fertig. An Heiligabend übergab sie die Decke. Zwei Tage später war sie tot.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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