Süddeutsche Zeitung

La Boum:Der Tilda-Swinton-Look

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Unsere Paris-Kolumnistin vermisst Drogeriemärkte - und das, obwohl sie in der Pandemie eh nie Wimperntusche trägt. Die Franzosen verstehen sie nicht.

Von Nadia Pantel

Zu den nützlicheren Dingen, die ich in den vergangenen Monaten gelesen habe, gehörte ein Interview mit Tilda Swinton. Es ging darum, dass Swinton erklären sollte, warum sie so schön ist. Vielleicht hatte Swinton keine Lust auf so ein Gespräch, vielleicht teilte sie wirklich ihr großes Geheimnis, jedenfalls sagte sie: Mascara weglassen. Seit letztem Herbst laufe ich nun mit sehr blassen Wimpern herum. Nicht nur wegen Swinton, sondern auch weil unter meiner Mund-Nase-Maske jedes Mal innerhalb von Minuten ein Hamam entsteht. Den Hamam-Dampf atme ich dann anscheinend hoch Richtung Augen. Ich verlasse als korrekt bemalte Person das Haus - und kehre als Panda zurück. Dieses Problem habe ich gelöst, indem ich auf den Swinton-Look umschwenkte. Wenn man dazu eine FFP2-Maske und eine Kapuze trägt, fällt niemandem auf, dass man gar nicht das Gesicht von Swinton hat.

Kosmetikartikel, werden Sie jetzt schnaufen, das interessiert mich doch gar nicht. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber sind Sie sich da sicher? Ich weiß auch nicht warum, aber den durchschnittlichen Deutschen scheinen Kosmetikartikel ganz ungeheuerlich zu interessieren. Sprechen Sie mal mit Menschen, die von Deutschland nach Paris gezogen sind. Die gewöhnen sich irgendwann an die Mieten und an den Dauerstau, aber eines vermissen sie immer: Drogeriemärkte.

Tausend Badezusätze, aufgeteilt nach Kind, Mann, Frau: Ist das nicht herrlich?

Natürlich bekommt man auch überall in Frankreich, was man braucht, um seinen Körper angemessen in Stand zu halten. Aber diese meterlangen Regale Duschgel, diese tausend Badezusätze, aufgeteilt in die Unterkategorien Kind, Mann, Frau und daneben diese Babykekse, die schmecken wie normale Kekse in schlechter und die wie Enten oder Dinosaurier geformt sind? Nirgends. Ich habe meiner für alle Ideen offenen Nachbarin mit leuchtenden Augen das Konzept "deutscher Drogeriemarkt" erklärt. Also, du hast da Zahnpasta und super viel Naturkosmetik, aber auch Essen, also eher bio, aber nicht so viel und nie Gemüse, manchmal gibt es auch Babykleidung neben den Windeln, toll, aber fast nie Schuhe. Mir wurde ganz heiß vor Sehnsucht. Die Nachbarin sagte: "Das ist doch Quatsch, wer braucht denn so was?"

Ich könnte jetzt die Namen derjenigen Kollegen nennen, mit denen ich mal im gleichen Zug von Aachen zurück nach Paris fuhr, nachdem Emmanuel Macron dort den Karlspreis verliehen bekommen hatte. Ich hatte etwas beschämt meinen Drogerieeinkauf in den Rucksack gequetscht, die anderen standen stolz mit ihren Tüten auf dem Bahnsteig. Cremes, Waschmittel, einer hatte sogar einen leeren Koffer mitgenommen, der nun voller Windeln war. Ist in Deutschland viel billiger, sagten sie. Total, sagte ich, weil es stimmte. Doch die Wahrheit, dass wir einfach nicht kapierten, wie Franzosen ihre Kontaktlinsenflüssigkeit und ihre hamamfeste Wimperntusche einfach im Supermarkt kaufen können, traute sich niemand zu sagen.

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