Süddeutsche Zeitung

Fitness im Weltall:Schwerelos trainieren

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Discovery-Astronauten haben ein kaputtes Fitnessgerät umfunktioniert. Warum Training im All wichtig ist - und was wir auf der Erde davon lernen können.

Anna Fischhaber

Matthias Lochmann ist Professor für Sportbiologie und Bewegungsmedizin an der Universität Erlangen und Experte für humanphysiologische Forschung in der Schwerelosigkeit.

sueddeutsche.de: Auf ihrer Reise zur internationalen Raumstation ISS hatte die Raumfähre Discovery mit irdischen Problemen zu kämpfen: Ein Trimmgerät an Bord war kaputt. Warum ist Fitness für Astronauten so wichtig?

Matthias Lochmann: Auf der Erde wehren wir uns jeden Tag gegen die Schwerkraft - allein indem wir stehen oder sitzen. Das ist ein permanentes Training, das uns gar nicht bewusst ist. Wenn Astronauten in die Schwerelosigkeit eindringen, verschwinden die Trainingsreize für den menschlichen Organismus. Deshalb müssen sie täglich zwei bis drei Stunden das Herz-Kreislaufsystem und die Muskeln trainieren.

sueddeutsche.de: Wie sieht so ein Training im Weltraum aus?

Lochmann: Inzwischen gibt es einen ganzen Forschungszweig, der sich mit der Fitness im Weltraum beschäftigt. An Bord einer Raumfähre gibt es normalerweise ein Laufband und ein Fahrradergometer, wie man es in einem Fitnessstudio auf der Erde findet. Und es gibt die Möglichkeit, Kniebeugen zu machen: Dazu werden Überwürfe an den Schultern und mit Gummizügen am Boden befestigt. Wenn man die Beine streckt, arbeitet man gegen den Gummiwiderstand, der einen nach unten zieht. Man simuliert somit Schwerkraft.

sueddeutsche.de: Und wenn - wie auf der Discovery - ein Trimmgerät kaputtgeht?

Lochmann: Dann müssen die Astronauten auf andere Geräte ausweichen. Wenn es keine Möglichkeiten mehr gibt, zu trainieren, muss man die Raumfähre zurückholen. Dramatisch ist so etwas, wenn man sich auf der Reise zum Mars befindet - dann wird die Fitness überlebenswichtig. Aber auch auf der Discovery kann das sehr gefährlich sein: Wenn die Raumfähre zurück in die Schwerkraft eindringt, wird man in wenigen Sekunden wieder schwer. Wenn dann das Herz-Kreislauf-System nicht richtig funktioniert, können mehrere Astronauten gleichzeitig ohnmächtig werden und ausfallen.

sueddeutsche.de: Was macht die Schwerelosigkeit mit dem Körper?

Lochmann: Bei der Landung sieht man manchmal Astronauten, die nach längeren Aufenthalten im Weltraum die ersten Schritte auf der Erde nicht mehr allein gehen können. Das liegt daran, dass ihr Herz-Kreislauf-System und ihre Muskulatur nicht mehr so leistungsfähig sind. Das Blut sackt in die Beine ab und sie können ohnmächtig werden. In der Schwerelosigkeit muss das Herz eine geringere Pumpleistung erbringen, um das Blut durch den Körper zu transportieren. In Folge des verminderten Anspruchs beginnt das Herz zu schrumpfen.

sueddeutsche.de: Und wie sieht es mit den Muskeln aus?

Lochmann: Der Körper begibt sich im Weltraum automatisch in eine leicht gebeugte Haltung. Das ist zunächst angenehm, weil man sich nicht mehr anstrengen muss. Aber dadurch beginnen die Muskeln zu schrumpfen und der Körper schwemmt Kalzium von den Knochen ins Blut, was zu Nierensteinen führen kann. Auch die Koordinationsfähigkeit geht teilweise verloren: Der Körper ist im Weltraum permanent unterbeansprucht. Das Gehirn passt sich dem bereits nach wenigen Tagen an und verlernt Bewegungsabläufe. Problematisch wird es, wenn der Aufenthalt in der Schwerelosigkeit mehr als 100 Tage dauert wie auf der ISS.

sueddeutsche.de: Wäre es nicht einfacher, Medikamente dagegen zu nehmen?

Lochmann: Natürlich gibt es Medikamente. Keine Anabolika, sondern solche, die gegen Osteoporose verwendet werden. Für die Astronauten wurden solche Medikamente immer wieder diskutiert, aber sie haben einige Nebenwirkungen. Wir wollen deshalb lieber das Training im Weltraum verbessern.

sueddeutsche.de: Wie gehen Sie bei der Forschung vor?

Lochmann: Wir haben gerade im Rahmen der 13. Parabelflugmission der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt ein Experiment in der Schwerelosigkeit durchgeführt. Dazu haben wir ein spezielles Fahrradergometer an Bord eines Airbus genommen - wenn das Flugzeug fällt und von der Erde angezogen wird, herrscht für 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Das Ergebnis des Experiments war überraschend: Bei allen Testpersonen ist das Zusammenspiel der wichtigsten Beinmuskeln in Schwerelosigkeit einem anderen Aktivierungsmuster gefolgt als unter normalen Schwerkraftbedingungen.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das?

Lochmann: Man muss sich überlegen, wie man die Trimmgeräte für den Weltraum technisch verändern kann, um das Training für Astronauten an das auf der Erde anzupassen. Bei dem Experiment haben wir auch die Gehirnaktivität aufgenommen. Dazu gibt es bislang keine ausreichenden Daten, nur Hinweise, dass sich die fehlende Schwerkraft beim Training nicht nur auf die Beinmuskulatur, sondern auch aufs zentrale Nervensystem und das Gehirn auswirkt.

sueddeutsche.de: Können wir auf der Erde auch etwas von der Fitnessforschung in der Schwerelosigkeit lernen?

Lochmann: Wenn ein Mensch im Bett liegt, weil er krank ist, ist das eigentlich die gleiche Situation wie bei einem Astronauten - die Antigravitationsmuskeln, die uns aufrecht halten, werden kaum noch benutzt. Man kann heute zeigen, dass ein geeignetes körperliches Training bei bettlägerigen Patienten einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat, weil Herz-Kreislauf-System und Muskeln nicht zusätzlich angegriffen werden. Unsere Trainingsprogramme können damit auch bei Menschen, die längere Zeit liegen oder in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, eingesetzt werden.

Mehr Informationen zur Forschung in der Schwerelosigkeit unter www.pfm.sport.uni-erlangen.de.

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