Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Letzte Lösung Internat?

Lesezeit: 2 min

Der pubertierende Sohn terrorisiert die Familie, beschimpft die Mutter und wirft mit Essen um sich. Die Eltern überlegen, ihn ins Internat zu schicken. Kann das helfen?

Leser Hartmut S. aus Köln fragt:

Unser 15-jähriger Sohn terrorisiert uns mit schrecklichen Wutanfällen. Seit er klein ist, schreit und tritt er. Nach einer Psychotherapie wurde es besser, jetzt in der Pubertät wird es wieder schlimmer. Vor Kurzem hat er seine Mutter mit "Fotze" beschimpft und das Essen vom Tisch geworfen. Wir wissen nicht weiter und überlegen, ob wir ihn in ein Internat schicken. Das wollten wir nie. Was meinen Sie? Hartmut S., Köln

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Drei Experten antworten:

Kirsten Boie: Was wäre im Internat anders?

Ein Internat könnte helfen, wenn es nur um ein pubertätstypisches Problem zwischen Ihnen und Ihrem Sohn ginge. Was Sie hier beschreiben, klingt aber wie ein grundsätzlicheres Problem, das es Ihrem Sohn schwerer macht als anderen, angemessen auf Frustration und Provokation zu reagieren. Was wäre also im Internat anders? Denken Sie an eine therapeutische Einrichtung? Wie steht Ihr Sohn dazu? Wenn er sich abgeschoben fühlt, wird vermutlich das Internat kaum helfen. Wenn er der Idee positiv gegenübersteht, könnten Sie es als gemeinsame Entscheidung ausprobieren.

Für Sie geht es jetzt darum, die Balance zu bewahren: Machen Sie Ihrem Sohn bei jedem seiner Ausraster klar, wo für Sie die Grenzen liegen, auch wenn Sie sie vermutlich nicht immer durchsetzen können. Und nutzen Sie jede Gelegenheit, ihm auch positive Rückmeldungen zu geben, selbst wenn es schwer fällt und seine Reaktionen darauf eventuell brüsk sind. Zeigen Sie ihm auch, dass Sie ihn lieben, obwohl Sie sein Verhalten oft fürchterlich finden. Mit 15 ist er im Grunde ein verunsichertes Kind, das sich nicht verstoßen fühlen sollte. Dass das schwierig ist für Sie, ist mir klar. Sagen Sie sich: Es wird besser werden, auch wenn es dauert. Dieser gerade grässliche Bengel ist trotz allem unser Sohn.

Wenn sich ein Kind so verhält und das schon seit vielen Jahren, hängt das mit dem zusammen, was zwischen Ihnen vorgeht, oder dem, was bei Ihnen fehlt. Individuelle Psychotherapie wird nicht helfen, daher rate ich Ihnen, einen erfahrenen Familientherapeuten zu finden, der Ihnen allen beistehen kann. Ihren Sohn aus der Familie auszuschließen, wird auf beiden Seiten nur mehr Schuldgefühle und Frustrationen schaffen, schlimmer noch: Es wird Ihren Sohn zum alleinigen Problem erklären - und das stimmt nicht.

Grundsätzlich sind Aggressionen in unserer Gesellschaft unerwünscht, dabei sind sie wichtig. Aggressivität führt nicht unweigerlich zu Gewalt. Deshalb sollen schon kleine Kinder lernen, Konflikte ausschließlich verbal zu klären. Dafür müssten sie sehr früh eine intellektuelle Leistung erbringen, die oft sogar uns Erwachsenen schwerfällt und überfordert. Aggressionen sind vor allem Reaktionen auf Angst, Wut und Schmerz und ein Zeichen dafür, dass sie sich nicht ausreichend in ihrer Persönlichkeit geachtet fühlen.

Kleinen Kindern stehen (noch) keine Verarbeitungsmöglichkeiten für diese Gefühle zur Verfügung, und deshalb fallen sie in eine Art "Notfallprogramm" zurück, also in die ungefilterte Aggression. Bestrafungen sind nicht hilfreich, denn sie bringen keine konstruktiven Bewältigungsstrategien und beziehen sich nur auf das Verhalten, nicht jedoch auf das nicht befriedigte dahinter liegende Bedürfnis. Ihr Sohn ist schon 15. Überlegen Sie, wo Ihr Sohn seine Wut und Aggressionen zeigen durfte. Er könnte viel Gefühl in sich aufgestaut haben. Wenn Sie wirklich an dem, was er fühlt, interessiert sind, nutzen Sie die Chance, das herauszufinden. Auch eine Familienberatung kann da helfen.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2016
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