Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Dürfen Eltern das Belohnungssystem von Lehrkräften kritisieren?

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Schüler, die stören, bekommen zur Strafe einen roten Smiley, brave dagegen einen Funkelstein. Soll man etwas gegen diese Art der Pädagogik unternehmen?

Von Margit Auer, Herbert Renz-Polster, Collien Ulmen-Fernandes

"Der Lehrer meines Sohnes, 8, arbeitet vor allem mit Belohnung und Bestrafung. Wer laut ist, dessen Name wandert auf einen roten Smiley. Wer Hausaufgaben vergisst, muss einem Frosch einen schwarzen Zahn malen, bei dreien muss man nachsitzen. Wer ruhig ist, kriegt einen Funkelstein. Der Lehrer findet die Maßnahmen gut, ich finde sie schlimm. Was soll ich tun?"

Christian W. aus Köln

Margit Auer:

Was halten die Kinder von der Sache? Finden sie die Maßnahmen auch so schlimm? Einige Kinder brauchen klare Anweisungen. Sie wollen Noten und keine schwammigen "Leistungsbeurteilungen", die sie nicht einschätzen können. Ich finde es ehrlich gesagt nicht so dramatisch, wenn ein Frosch einen schwarzen Zahn bekommt. Und wer nicht nachsitzen will, muss seine Hausaufgaben machen, Punkt. Puh, bin ich jetzt zu streng? Wichtig ist, dass in der Klasse die Regeln für alle gelten. Wenn es faire Absprachen gibt, können die Kinder meiner Erfahrung nach sehr gut damit umgehen. Jeder Lehrer, jede Lehrerin findet eigenen Methoden, um die Schüler voranzubringen. Eine Freundin arbeitet als Lehrerin, sie machte gute Erfahrungen mit einem Entwicklungsgespräch. Das Kind verlässt stolz den Raum, weil es sich ernst genommen fühlt. Wenn die Kinder sich in der Klasse wohlfühlen, sollten Sie sich nicht einmischen.

Herbert Renz-Polster:

Das klingt nach einem gewieften Dompteur, der versucht, das Verhalten der Schüler so zu steuern, auf dass er sein Ziel erreicht: den Stoff möglichst störungsfrei an die Schüler und Schülerinnen zu bringen. Was aus dieser Strategie wird, ist bekannt: Manche Kinder kommen damit klar, weil sie sich gut anpassen können, andere werden ausgegrenzt. Klar ist auch, dass diese Fremdsteuerung langfristig Spaß und Eigenmotivation verdirbt. Unter dem Strich heißt das: Diese Art der Behandlung der Kinder fällt dem eigentlichen Bildungsauftrag der Schule in den Rücken. Da ist guter Rat teuer, weil diese Art zu "unter"richten mit der Persönlichkeit des Lehrers zu tun hat. Und ändern Sie die mal. Trotzdem würde ich in die Diskussion einsteigen, und damit sind gegebenenfalls auch Fragen an die Schulleitung verbunden, die ja ebenfalls ein pädagogisches Konzept vertritt. Können Sie auf ein gemeinsames Vorgehen mit den anderen Eltern hoffen? Da bin ich pessimistisch. Solange die Noten ihrer Kleinen stimmen, haben Eltern oft überraschend wenig Fragen an die Schule. Und für nicht wenige geht dieser Stil auch voll und ganz in Ordnung. Bliebe das Wichtigste: Machen Sie es zu Hause anders. Und werten Sie die Dressur mit schwarzen Zähnen und Funkelsteinchen nicht auch noch dadurch auf, dass Sie zu Hause den Antreiber spielen.

Collien Ulmen-Fernandes:

Die Vorstellung des Froschs mit den schwarzen Zähnen macht mir Angst. Davon werde ich heute Nacht mit Sicherheit träumen. Ein gruseliges Bild. Allerdings bin ich Ende 30 und hab eigentlich ein dickes Fell. Wenn ich mir Achtjährige vorstelle, die nachts in ihren Träumen von Fröschen mit schwarzen Zähnen heimgesucht werden, werde ich wütend. In mir entsteht sofort die Rachefantasie, die mangelhafte Arbeit des Lehrers auf dem nächsten Elternabend mit einer ähnlichen Methode zu quittieren - er müsste zum Beispiel einem Pferd seine Mähne abschneiden. Aber eigentlich ist das Thema zu ernst. Ich halte diese Methoden für gefährlich, für psychische Gewalt, und ein Gespräch mit der Elternvertretung und/oder der Schulleitung für gegeben. Am besten in Anwesenheit des Lehrers, der dabei schweigend den Funkelstein halten muss.

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Quelle:
SZ vom 20.03.2021
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