Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Baby mit Ohrloch

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Jutta S. aus München regt sich über eine spanische Mutter auf, die ihrem Baby Ohrlöcher stechen lassen will. Aber darf man anderen in solche Fragen reinreden, oder sollte sie lieber den Mund halten? Drei Meinungen.

Ein befreundetes Paar hat gerade eine Tochter bekommen. Die Mutter ist Spanierin und möchte dem Baby Ohrlöcher stechen lassen. In Spanien ist das üblich, oft schon kurz nach der Geburt. Ich finde das furchtbar und schon fast an Körperverletzung grenzend. Darf ich etwas sagen? Jutta S. aus München

Kirsten Fuchs:

Natürlich dürfen Sie was sagen. Was sagen darf man doch immer. Einfach Ihre Meinung. Sie finden das nicht gut. Zack. Kann man da nicht etwas warten? So was in der Art. Ich würde die Floskeln "es geht mich ja nichts an, aber" und "ich sag ja nichts, ich mein ja bloß" weglassen, denn das macht eigentlich erst die komische Stimmung, wenn jemand was sagt. Sie sagen Ihre Meinung und erwarten nicht, dass es die andere interessiert. Die könne einfach "soso" sagen und dann fragen: "Kaffee?" Das kann man in einer Freundschaft auch aushalten, dass Sie etwas furchtbar finden und die Freunde es trotzdem machen. Ich nehme an, dass spanische Babys normalerweise nicht von Ohrlöchern sterben, und auch wenn ich selbst es genauso krass wie Sie finde, so ist es doch absolut im Rahmen dessen, was Eltern entscheiden dürfen. Impfungen oder nicht Impfungen sind ja krassere Entscheidungen und werden auch von Eltern getroffen. Genauso vergeben Eltern merkwürdige Namen und zwängen ihre Kinder in Religionen. Bestimmt finden auch nicht alle alles gut, was Sie so machen.

Jesper Juul:

Ich bin hier etwas verwirrt. Was geht Sie das an? Beschneidung bei Mädchen und Frauen (weibliche Genitalverstümmelung) ist eine "Körperverletzung", aber wenn diese spanische Mutter ihrem Kind Ohrlöcher stechen lässt, ist das - was den Schmerz oder das lebenslange Trauma angeht - wirklich gar nicht vergleichbar.

Collien Ulmen-Fernandes:

In keiner Rubrik einer deutschen Printzeitung kann man mehr lernen als im Familientrio. Diese Tradition kannte ich bis zu Ihrer Frage gar nicht. Die Ohrlöcher der spanischen Babys klingen wie ein Relikt der Folklore, wie das goldene Schweinchen, das den Kindern in Tschechien an Weihnachten erscheint, oder die Idee, am 6. Dezember käme ein Bartträger an alle deutschen Haustüren, um Hülsenfrüchte und Schokolade in Schuhen zu hinterlassen. Besser kann sich der Mensch doch nicht von den folgenden Generationen von Androiden unterscheiden, als dass er irrationale Brauchtümer, aufwendige Spiele und ungesunde Speisen kultiviert. Aber um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Sagen dürfen Sie natürlich was.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2019
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