Süddeutsche Zeitung

Europa:BrEXIT

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Die Briten wollen aus der EU austreten, sich aber dafür jetzt mehr Zeit lassen. Emmi, 10, ist in London groß geworden, jetzt aber wieder zurück in Deutschland. Hier erzählt sie warum.

Von Georg Cadeggianini

"An den Tag der Abstimmung kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Ich weiß noch, dass wir uns alle sicher waren, dass die Mehrheit für Europa stimmen würde, dafür, dass Großbritannien in der EU bleiben soll. Wie sollte man auch darauf kommen, den Brexit für eine gute Idee zu halten? Das ist jetzt fast drei Jahre her. Meine Mutter hat mir erzählt, wie sie an dem Tag nach der Abstimmung morgens auf der Treppe saß und geheult hat. Ich habe mich dazu gesetzt und gesagt: 'Aber ich will in der EU bleiben.'

Nach London sind wir gezogen, als ich dreieinhalb Jahre alt war. Drei Viertel meines bisherigen Lebens habe ich dort verbracht. Natürlich ist das auch Heimat. Ich bin dort zur Grundschule gegangen, die in Großbritannien schon mit vier Jahren beginnt. Statt mit Kilogramm wird dort meistens in Pounds gerechnet. Es gibt keinen Euro, sondern Pfund. In der Schule mochte ich vor allem den Kunstunterricht. Einmal sollten wir ein Bild im Stil eines Künstlers malen. Ich habe mir Georgia O'Keeffe ausgesucht - und eine riesige rosa Blume gemalt. Ich hatte in London eine Turngruppe und viele Freundinnen. Einmal saß ich mit meinen Freundinnen Izzy und Sophia im Café Lulu. Wir haben heiße Schokolade getrunken, so als ob wir schon größer wären. Das war sehr schön. Natürlich haben wir auch mal über den Brexit geredet und darüber, dass er einer der Gründe ist, warum ich Großbritannien verlasse. So wie Noel aus unserer Klasse, der mit seiner Familie nach Ungarn zurückgegangen ist.

"Wie sollte man darauf kommen, den Brexit für eine gute Idee zu halten?"

Natürlich gibt es ein paar Dinge, die ich nicht so toll fand in London. Das hat es mir erleichtert, Abschied zu nehmen: der lange Schulweg zum Beispiel, jeden Tag 40 Minuten hin, 40 zurück. Der ganze Schmutz in der Luft. Die Schuluniform, vor allem der Rock, der war so unbequem und eng. Andererseits: Gibt es nicht immer irgendwas, was einen stört?

Ich wurde in den sechseinhalb Jahren in London als Deutsche nie blöd angesprochen. Ich habe auch nie jemanden getroffen, der für den Brexit gestimmt hat. Meine Mama hat mir erzählt, was einer spanischen Freundin mal im Bus passiert sein soll. Da wurden sie angemault, dass sie doch bitte Englisch mit ihren Kindern sprechen soll. Mit dem Brexit sei London nur noch Teil von Großbritannien, von nichts anderem mehr. Das finde ich blöd. Ich finde die EU gut. So kann man besser Sachen aus anderen Ländern bekommen, man kann auch einfacher dorthin reisen oder dort leben. Seit diesem Schuljahr lebe ich wieder in Deutschland. In einer Kleinstadt in Oberfranken. Das ist so ziemlich das Gegenteil von London. Ich vermisse meine Freundinnen, die Zeitschriften, vor allem das Magazin der Kinderbuchautorin Jacqueline Wilson. Aber ich finde es toll, dass ich wieder in der EU wohne.

"Meine Freundinnen in Deutschland finden es cool, dass ich Englisch kann."

Mein Lieblingsfach hier ist Mathe. Das fällt mir leicht. Und das, was wir da momentan machen, hatten wir in London alles schon durchgenommen. Meine Freundinnen hier in Deutschland finden es cool, dass ich Englisch kann. Mit meiner Englischlehrerin haben wir auch mal über den Brexit gesprochen. Die hat verstanden, dass wir nach Deutschland zurückgekommen sind. Hier ist vieles anders als in London. Ich kann viel mehr Sachen alleine machen: einkaufen, Spielplatz, Freunde besuchen. Plötzlich sind Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins ganz in der Nähe, genauso wie der Wald. Und im Hort gibt es viel mehr Sachen. Momentan übe ich, auf Stelzen zu laufen. Die hatten wir im britischen Hort nicht. Und es gibt hier eine super Eisdiele. Dort ist es fast so schön wie im Café Lulu. Vielleicht sogar noch toller."

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Quelle:
SZ vom 16.03.2019
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