Süddeutsche Zeitung

Englands berühmtester Hochzeitsfotograf:Der längste Tag

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Seit 25 Jahren fotografiert Jeff Ascough Hochzeiten, er gilt als einer der besten seines Fachs. Der Job sei manchmal härter als Kriegsberichterstattung, behauptet der Brite. Ein Gespräch über "Bridezillas", 20 000 Pfund teure Hochzeitstorten und Bräutigame in Notaufnahmen.

Von Alexander Menden, London

Viele von Jeff Ascoughs Freunden sind, wie er selbst, Fotografen. Einige davon arbeiten regelmäßig in Krisen- und Kriegsgebieten. "Denen sage ich oft, dass ich einen viel härteren Job habe als sie", sagt Ascough. "Sie haben Wochen, um fünf bis sieben gute Bilder zu machen. Ich habe zehn Stunden und muss danach sehr viel mehr brauchbare Fotos liefern." Vergleicht man Jeff Ascoughs Spezialgebiet mit dem eines Kriegsberichterstatters, würde nicht jeder intuitiv einer solchen Einschätzung zustimmen: Der Engländer fotografiert seit annähernd einem Vierteljahrhundert fast ausschließlich Hochzeiten. Aber wenn er von seinem Arbeitsalltag erzählt, glaubt man ihm ohne Weiteres, dass es für einen Fotografen zwischen Kirche, Empfang und Party ebenfalls ziemlich stressig werden kann - wenn auch vielleicht nicht ganz so sehr wie in einem Schützengraben.

Ascough hat mehr als 170 Preise für seine Arbeiten eingesammelt und gilt in Fachkreisen als einer der besten Hochzeitsfotografen der Welt. Seine Bilder nutzen nicht nur vorhandenes Licht meisterhaft, sie wirken auch durchkomponiert und komplett spontan zugleich: Die Braut, die im Regen in eine Limousine huscht. Der einsame Zylinderträger auf einem Kiesweg. Die Reflexion eines küssenden Paares in einer Fensterscheibe. Es sind die weniger offensichtlichen Momente, nach denen Ascough sucht. Sie verleihen seiner Arbeit einen, freilich stilisierten, Dokumentarcharakter in einem Sujet, bei dem man grell ausgeleuchtete Szenen und steife Arrangements gewohnt ist.

Nach Jeff Ascoughs Ansicht gibt es zwei Kategorien von Fotografen: Solche, die sich vor allem von der Emotion des dargestellten Moments leiten lassen, und solche, die geometrisch denken, die das Bild in Licht und Umrisse einteilen. "Mein großes Vorbild Henri Cartier-Bresson war einer von dieser mathematischen Sorte", erläutert Ascough. "Für mich kommt auch immer erst die Komposition, alles andere ist zweitrangig - Gesichtsausdruck, Gefühlsregungen, das sehe ich erst hinterher." Er versucht während der Arbeit so wenig wie möglich aufzufallen, denn die besten Bilder entstehen nach seiner Erfahrung, wenn die Gäste gar nicht wahrnehmen, dass ein Fotograf da ist.

Sein Studio hat der 47-Jährige in einem hübschen Häuschen in Lytham an der englischen Nordwestküste eingerichtet. Der Ort mit seinen georgianischen Backsteinbauten und der malerischen High Street wirkt selbst wie der ideale Hintergrund für eine britische Country Wedding. Doch Jeff Ascoughs Anfänge als Hochzeitsfotograf waren weniger idyllisch. Nachdem er nach dem Schulabschluss eine Zeit lang im Fotostudio seines Vaters in Loughborough gearbeitet hatte, zog er mit seiner späteren Frau nach Derby: "Ich hatte ein Budget von circa 50 Pfund, eine 30 Jahre alte Hasselblad, kein Studio. Unsere Nachbarn waren Drogenhändler, in unserem Garten trieben sich Prostituierte herum. Da war ein Job wie Hochzeitsfotografie, bei dem ich zum Kunden kommen konnte, und nicht umgekehrt, genau das Richtige."

Seine Karriere begann zunächst ganz herkömmlich, mit gestellten Gruppenporträts, statisch und unspontan. Dann heiratete er selbst. "Und als ich mir die Fotos von unserer Hochzeit ansah, die ein Freund gemacht hatte, fand ich, dass sie nicht wirklich wiedergaben, was an dem Tag passiert war. Meine Frau kam etwas zu spät, und es gab noch viele andere kleine Details, die nicht eingefangen wurden. Ich dachte mir: Es muss eine bessere Art geben, so ein Ereignis zu fotografieren." Er hatte schon vorher begonnen, bei den Hochzeiten, die er selbst fotografierte, nebenher mit seiner Großbildkamera Momente während der Feier festzuhalten. "Ich tat das einfach für mich, als Spielerei", sagt er. "Aber wenn ich den Kunden diese Bilder zeigte, waren sie von ihnen viel begeisterter als von den konventionellen Bildern." Das, was er seinen "fotojournalistischen Stil" nennt, war geboren, und bescherte ihm reichlich Aufträge: Gegen Ende der Neunzigerjahre brachte er es auf bis zu 80 Hochzeiten pro Jahr. Mittlerweile sind es im Schnitt nur noch 20, nicht zuletzt wegen der Masse an Bildern pro Veranstaltung, die die Umstellung auf Digitalfotografie mit sich gebracht hat.

Aber bitte ohne Pickel

Gewappnet zu sein für das Unerwartete, das sei das A und O in seinem Job, sagt Jeff Ascough. Wie bei jener Hochzeit, die im Winter stattfand, und deren Gäste am Tag davor bei der Anreise von einem Schneesturm überrascht wurden. Nicht aber der Fotograf: Er hatte regelmäßig die Vorhersage gecheckt und war schon am Tag davor in den Ort gefahren, in dem die Feier stattfinden sollte - eine Stunde, bevor die Polizei die Straßen sperrte. Oder der Bräutigam, dem beim Festessen etwas im Hals stecken blieb und der den Rest des Tages in der Notaufnahme verbrachte. Solche Szenen dokumentiert Ascough nicht: "Die Leute wollen ja eine angenehme Erinnerung an den Tag haben."

Andere Szenen waren für die Beteiligten wohl auch nicht unbedingt angenehm, aber dafür lustig: "Einmal saß ein Gast mit Glatze in der Kirche in der ersten Reihe. Der sah von hinten exakt so aus wie ein Penis mit Kragen. Das Gelächter ging in den hinteren Reihen los und verbreitete sich durch den ganzen Raum." Jeff Ascough grinst, als er sich erinnert. "Der arme Kerl." Ein Foto von dem Peniskopf zeigt er nicht her. Doch trotz der lustigen Begebenheiten: Wird es nicht ein bisschen langweilig, immer nur eine Sorte von Veranstaltung zu dokumentieren? "Überhaupt nicht", beteuert Jeff Ascough. "Das ist eben der Bereich, in dem ich mich ausdrücke. Wenn du wie ich arbeitest, bist du ja zugleich Fotojournalist, Porträt-, Landschafts- und Architekturfotograf."

In Großbritannien, wo Jeff Ascough noch immer den Großteil seiner Aufträge erhält, hat sich seit seinen Anfangstagen im Geschäft der Perfektionsdruck erhöht. Nicht zuletzt unter dem transatlantischen Einfluss der milliardenschweren amerikanischen Hochzeitsindustrie, stark nachbearbeiteter Fotos von Prominenten-Hochzeiten und der Allgegenwart digitaler Bilder in sozialen Netzwerken erwarten die Brautpaare, dass ihr Hochzeitstag ohne jeden Zwischenfall verläuft. Die Fotos müssen dementsprechend ein Bild gewordener Traum sein. "Die Ansprüche sind bei manchen unrealistisch geworden", sagt Ascough. "Das betrifft nicht nur meine Arbeit, sondern auch die Floristen, das Catering und das Wetter."

Viele der jüngeren Hochzeitsfotografen bieten ganz selbstverständlich einen Service, in dem sie die Bilder nachträglich mit Photoshop so verändern, dass sie dem unerreichbaren Ideal der Kunden ähneln." Ganz ohne Retusche geht es allerdings auch bei ihm nicht: Einen Pickel nehme er dann doch schon mal aus dem Gesicht der Braut, gibt er zu.

Der Art von Spontaneität, die Jeff Ascough für seine besondere Art von Bildern braucht, kommt der Perfektionstrend nicht entgegen. Und er gesteht auch, dass er die finanziellen Exzesse mancher Hochzeiten zwiespältig sieht: "Neulich war ich bei einer Feier, die ein Budget von drei Millionen Pfund hatte", erzählt er. "Da denkt man auf der Heimfahrt schon mal: Drei Millionen? Was hätte man damit alles machen können!" Angesichts von Veranstaltungen, bei denen allein die Hochzeitstorte gut und gerne 20 000 Euro kosten darf, sind die Honorare des Fotografen von umgerechnet 5000 bis 7500 Euro pro Auftrag geradezu preiswert.

Wer hat Angst vor "Bridezilla"?

Dass bei Kunden, für die Geld keine Rolle spielt, der "Bridezilla"-Faktor höher sei als bei anderen Hochzeitspaaren, bestreitet Ascough allerdings. Der Begriff "Bridezilla", ein Kofferwort aus dem englischen "Bride" und Godzilla, hat sich in Großbritannien für Bräute eingebürgert, die durch ihre monströse Kontrollwut vor und während der Hochzeit alle zur Verzweiflung treiben. Er siebe solche Fälle gewöhnlich vorher aus, sagt der Fotograf. Wie die Chefin einer PR-Agentur, die ihm schon beim ersten Treffen sagte: "Meine Hochzeit wird die beste, die du je fotografiert hast!" Sie bestand nicht nur auf einer Kirche, die anderthalb Autostunden vom Ort des Empfangs entfernt lag, sondern feuerte auch nacheinander fünf Köche, deren Menüs ihr nicht zusagten. "Ich habe das dann gelassen", sagt Jeff Ascough, nicht ohne zufriedenen Unterton. "Und hörte später, dass ihre Feier am Ende mit 20 Gästen bei ihr zu Hause stattfand."

Generell ist sein Verhältnis zu den Brautpaaren exzellent, aber es hat sich im Laufe der Jahre durch den wachsenden Altersunterschied verändert. Er merkt das schon daran, dass manche das, was früher selbstverständlich war, heute für überflüssig halten. So muss er viele jüngere Kunden wortreich davon überzeugen, dass Abzüge bei seiner Art von Fotos viel besser wirken, als wenn man sie sich auf einem Computer-Tablet ansieht: "Sie sind es gewohnt, Bilder nur noch auf einem Bildschirm anzusehen. Da fehlt aber die dritte Dimension des Materials, die Papieroberfläche. Und unsere Alben sind ja im Preis mit drin."

Wie alt er in diesem Job geworden ist, erkennt der Fotograf im Übrigen an seiner Tochter, die mittlerweile ein Teenager ist. "In ein paar Jahren ist sie selbst alt genug, eine Braut zu sein", sagt er etwas ungläubig. Das wird dann sicher sein Meisterstück, die schönsten Hochzeitsbilder, die er je gemacht hat, nicht wahr? "Oh nein", sagt Jeff Ascough bei der Frage schnell und winkt mit beiden Händen ab. "Am Tag, an dem meine Tochter heiratet, werde ich keine Kamera anfassen!"

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Quelle:
SZ vom 27.06.2014
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