Süddeutsche Zeitung

Eine Woche ohne ... Handy:Eine schöne Utopie

Lesezeit: 3 min

Wissen Sie noch, wie das war? Damals, als es noch kein Handy gab und man nicht ständig erreichbar sein musste. Jetzt wird schon eine Woche zur Qual.

Jürgen Schmieder

Erinnern Sie sich noch? Lassen Sie sich Zeit, es ist schon lange her. Sollten Sie jünger sein als 20 Jahre, dann fangen Sie erst gar nicht an, im Gedächtnis zu suchen. Sie kennen das nicht. Es geht um eine Zeit, als sich in der Hosentasche kein vibrierendes und ständig klingelndes Ding befand.

Man kann sich kaum noch erinnern an diese Tage, an denen eine Verabredung in Stein gemeißelt war und nicht mit einem Anruf zehn Minuten vorher abgesagt wurde. An denen man einen Film im Kino ansehen konnte, ohne dass der Sitznachbar am Telefon diskutiert. Und an denen Familienväter während des Spaziergangs nicht Fußballergebnisse checken.

Freilich hört sich das arg kulturpessisimistisch an und auf der Früher-war-alles-besser-Welle surfend. Das soll es nicht sein. Das Handy ist eine sinnvolle Erfindung, es hat das Leben nicht nur erleichtert, sondern nicht selten sogar gerettet. Es hat den Menschen aber auch abhängig gemacht von diesem Gerät, das er stets bei sich trägt - oder die stilvoll schlimmere Variante: an sich -, als wäre es der Schatz aus "Der Herr der Ringe". Ein Funkloch provoziert Wutausbrüche, ein leerer Akku Angstzustände. Aber könnte man denn nicht eine Woche ohne den Gürtelschnallen-Beschwerer leben? Einfach so?

Der erste Tag ohne Handy kommt einem vor wie ein Urlaub am White Beach auf den Philippinen, während daheim die Fußball-Weltmeisterschaft tobt. Einerseits genießt man die Ruhe und Entspannung, andererseit hat man nicht nur das Gefühl, etwas zu verpassen - man weiß ganz sicher, dass man etwas verpasst. Am Nachmittag überlege ich, wer angerufen oder eine SMS geschrieben haben könnte. Da ich keinen Festnetzanschluss habe, muss ich zur Telefonzelle - ja, diese Dinger gibt es tatsächlich noch - am Ende der Straße, um mich mit einem Freund zu verabreden. "Aber sicher um Punkt acht", brülle ich ins Telefon. "Ich bin nicht mehr zu erreichen." Er kam 15 Minuten zu spät.

Nach drei handylosen Tagen werden die Angstzustände größer. Was, wenn jemand angerufen hat und mir das Jobangebot meines Lebens machen wollte? Vielleicht hat sich die Radiostation gemeldet und will mich am 100.000-Euro-Gewinnspiel teilnehmen lassen, ich muss allerdings sofort zurückrufen. Ich beruhige mich damit, dass die Wahrscheinlichkeit dieser Anrufe ungefähr so hoch liegen wie der Einschlag eines Blitzes in meinen Kopf. Dennoch: Es ist so beunruhigend wie ein Computerspiel, dessen Highscore sich einfach nicht knacken lässt.

Dafür wird man in der handylosen Zeit disziplinierter und freundlicher. Ich komme pünktlich zu Verabredungen. Ich rufe niemanden nach 22 Uhr an. Ich schicke keine unpersönliche Grußformel-SMS zum Geburtstag, sondern schicke eine handgeschriebene Karte oder erscheine gar persönlich mit einem Geschenk in der Hand.

Irgendwann verschwand auch dieses unangenehme Gefühl beim Joggen am Abend. Wenn jetzt etwas passiert, dachte ich mir am Anfang des Projekts, dann kann ich niemanden anrufen und werde hier elendiglich verrecken. Irgendwann wurde mir klar: Was soll schon passieren? Und wenn beim Joggen etwas geklaut wird, dann doch wohl zuerst das Handy. Ich lief und kam wohlbehalten zu Hause an.

Ein psychedelisches Konzert

Erst nach sechs Tagen stellt sich eine Ruhe ein, als hätte ich den Nanga Parbat bestiegen und würde nun hinüberschauen auf die anderen Berge des Himalaya. Wer mich erreichen will, der schafft es schon irgendwie. Und ich habe mir angewöhnt, andere Menschen per Telefon nur dann zu belästigen, wenn es wirklich sein muss.

Als ich das Handy wieder einschaltete, gab es ein psychedelisches Konzert, auf das Jean-Michel Jarre stolz gewesen wäre. 79 entgangene Anrufe, 18 Ansagen auf dem Anrufbeantworter und 85 nicht erhaltene Kurzmitteilungen. Ich ging die Liste durch: kein tolles Jobangebot, kein 100.000 Euro-Gewinnspiel. Einer brachte es sogar fertig, folgende Nachricht auf der Mailbox zu hinterlassen: "Hey, ich erreiche dich nicht. Na ja vielleicht, ach weißt du was: Ich komme schnell bei dir vorbei. Bis gleich." Noch eine Bilanz: Keiner der Anrufer oder SMS-Schreiber hat sich beschwert, dass ich nicht geantwortet habe. Ich habe nichts verpasst.

Dennoch bin ich froh, dass da nun wieder ein Gerät in meiner Jackentasche steckt, durch das ich erreichbar sein kann, im Notfall Hilfe holen kann und auch jederzeit Fußballergebnisse abrufen kann. Das Wichtigste dabei: Kann. Nicht muss.

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