Süddeutsche Zeitung

Diskussion um Gesundheitsfonds:Scheinheiligkeit im Endstadium

Lesezeit: 4 min

Der Gesundheitsfonds erfüllt vor allem einen Zweck: die Wahrheit über die Kosten medizinischer Dienstleistung zu verheimlichen.

Dietrich Grönemeyer

Geben Sie Gestaltungsfreiheit - Madame! Möchte man frei nach Friedrich Schiller der Bundeskanzlerin zurufen. Beweist sich Größe doch nicht im Beharren auf einer falschen Entscheidung, sondern in dem Mut, von einer solchen auch wieder abzurücken.

Und wann wäre die Gelegenheit dazu gegebener als jetzt, da ohnehin alles neu verhandelt werden muss, kein Grund mehr besteht, Zugeständnisse zu bewahren, die man dem früheren Koalitionspartner glaubte schuldig zu sein. Niemand würde der neuen Bundesregierung eine solche Korrektur vorhalten oder gar nachtragen, nicht, wenn es um die Abschaffung des Gesundheitsfonds geht.

Beendigung eines Schildbürgerstreichs

Der scharfe Schnitt wäre schließlich nicht mehr als die Beendigung eines Schildbürgerstreichs. Oder wie sonst sollte man die Schaffung einer Behörde bezeichnen, an die die Krankenkassen das Geld, das sie einsammeln, abführen müssen, um es dann von ebendieser Behörde wieder zugeteilt zu bekommen, gekürzt und verspätet zumeist. Und niemand soll hier behaupten, dass sich eine solche Bürokratie, wenn sie erst einmal in Gang gesetzt ist, nicht so ohne weiteres abwickeln lässt.

Erschaffen ließ sie sich ja auch sozusagen aus dem Stand heraus, und ohne Not. Zwar stimmt es, dass eine transparentere Struktur des Krankenkassensystems angezeigt ist, doch wann wäre so etwas je durch eine Superbehörde erreicht worden. Derartiges dient doch am Ende bestenfalls ideologischer Selbstbefriedigung, der Rechtfertigung der Politik durch Betriebsamkeit.

Niemand braucht aber eine politische Klasse, die den Charakter einer eigenen Spezies anzunehmen droht und die sich offenbar schon als so speziell empfindet, dass sie sich für die Schweinegrippen-Impfung ein eigenes Serum reservieren wollte, ein anderes als das, das "den Menschen" zur Verfügung stehen sollte.

Diese "Menschen", von denen die Bundeskanzlerin so gern spricht, die sie tituliert, als handle es sich um eine eigene Art, der sie sich selbst schon gar nicht mehr zugehörig fühlt - diese "Menschen" haben zu allererst einen Anspruch darauf, als Bürger ernst genommen zu werden. Sie sind keine Objekte politischen Jonglierens. Niemand darf sie entmündigen, indem er den Eindruck fürsorglicher Betreuung erweckt, so tut, als hätte er Leistungen als Gnadenerweis zu verteilen.

Umverteilung hilft nicht mehr weiter

Bei einem erneuten Milliarden-Defizit der gesetzlichen Kassen scheint es eh müßig zu sein, die Frage nach dem Für und Wider des Gesundheitsfonds überhaupt noch zu stellen. Nicht zu reden von der Fragwürdigkeit eines Verteilungsschlüssels, bei dem am besten wegkommt, wer die meisten Kranken akquiriert.

Jede Verteidigung des Status quo grenzt da schon an Gesundbeterei; da ist mit Umverteilung nichts mehr auszurichten. Allein eine gemeinsame Anstrengung von Ärzten, Kassen und Patienten kann jetzt noch helfen. Nur wird daraus nichts werden, solange die Kontoführung im Gesundheitswesen für den Einzelnen ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.

Dabei ließe sich das von heute auf morgen und ohne die Einrichtung neuer Behörden abstellen, wenn auch wir Ärzte uns endlich dazu verstehen könnten, jedem Patienten eine Dokumentation der ärztlichen Leistung auszuhändigen. Wie denn sonst sollen wir eine Vorstellung davon gewinnen, was uns die Gesundheit wert sein muss? Erst wenn jeder weiß, wie viel oder wie wenig wofür aufgewendet werden muss, kann ein wirkliches Kostenbewusstsein auf allen Seiten entstehen.

Ohne dies wird eine deutlich verstärkte Gesundheitsvorsorge, wie sie die derzeitige Familienministerin Ursula von der Leyen fordert, nicht zu haben sein. Nur durch einen für alle fassbaren Abrechnungs- und Kostenvergleich werden wir es endlich schaffen, überteuerte stationäre Behandlungen zugunsten der gleichwertigen, aber wesentlich günstigeren und häufig auch schonenderen ambulanten Behandlungen zu reduzieren.

Wie bei den privaten Kassen, so sollten die Versicherten auch bei den gesetzlichen Kassen als mündige Bürger behandelt werden, indem sie in die Abrechnung ihrer Behandlungskosten einbezogen werden. Das würde mit einfachen Mitteln die Demokratisierung im Gesundheitswesen befördern; eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist es ohnehin.

Verharren in unmündiger Abhängigkeit

Denn die mehrstelligen Milliardenbeträge, mit denen der Gesundheitsfonds so locker hantiert, sind für niemanden fassbar. Sie entziehen sich der Vorstellungskraft. Reduziert auf ihre kollektive Erfassung, werden die Kosten zu einem Fatum, dem wir ausgeliefert zu sein scheinen. Ohne die nötige Information verharren "die Menschen" in unmündiger Abhängigkeit. Diese angemaßte Vormundschaft ist aber nichts als eine Verschleierung der Kosten, die "die Menschen" dann doch wieder tragen müssen, sei es durch Steuererhöhung oder durch steigende Beiträge der Krankenkassen.

Tatsächlich braucht es keine Nivellierung, wie sie der Gesundheitsfonds erstrebt, nicht weniger, sondern mehr Wettbewerb um medizinische Qualität zwischen den Kassen sowie den Anbietern medizinischer Dienstleistung.

Dem Bürger sollte endlich zugetraut werden, dass er das für ihn Richtige herauszufinden weiß. Die Politik indes sollte nur dafür sorgen, dass sich jeder seinen Bedürfnissen entsprechend absichern kann, wobei es sich von selbst versteht, dass diejenigen, die dazu nicht in der Lage sind, alle nötige Unterstützung vom Staat erhalten. Warum haben wir nicht längst ein transparentes System wie bei der Kfz-Versicherung eingeführt, mit Teil- und Vollkaskopaketen? Das versteht jeder - den Gesundheitsfonds versteht keiner.

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

Es ist schlicht scheinheilig, weiterhin so zu tun, als dürfe bei der Medizin im Einzelfall nicht vom Geld gesprochen werden, nur um nachher festzustellen, dass das Ganze unser Leistungsvermögen übersteigt. Die Wahrheit, hat schon Ingeborg Bachmann festgestellt, ist dem Menschen zumutbar, zumal diese Wahrheit auch eine sehr positive Seite hat. Zählt doch die Gesundheitswirtschaft insgesamt zu den Wachstumsbranchen der Zukunft.

Was wir wirklich benötigen, sind Rahmenbedingungen für eine Branche, die Prosperität mit dem Qualitätssiegel med. in Germany schafft. Auf ihrem Erfolg beruht alles andere; eine kranke Gesellschaft wäre nicht zukunftsfähig. Deshalb gilt es, ein Investitionsklima zu erzeugen, das Kassen, Ärzte, Bürger und Patienten gleichermaßen motiviert. Denn auch die ganz persönliche, aktiv betriebene Prävention ist schließlich eine Investition in die Zukunft. Um sie für jeden attraktiv zu machen, braucht es Gestaltungsfreiheit. Das dürfen "die Menschen" als Bürger von den beauftragten Politikern erwarten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.46356
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.10.2009
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.