Süddeutsche Zeitung

Brandenburg:Wo die Schwächsten zum Spekulationsobjekt werden

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In Brandenburg wird ein Dorf versteigert, und die Welt schaut zu. Die Bewohner aber schwanken zwischen Angst und Wut, sie fürchten um ihren ruhigen Ort, um ihre Wohnungen. Ein Besuch.

Von Max Sprick, Alwine

An der Landstraße 65, im Wald zwischen Tröbitz und Domsdorf, steht ein Schild, das es europaweit in die Schlagzeilen geschafft hat, sogar bis nach China. "Ganzes Dorf zu verkaufen" stand über unzähligen Artikeln, auch im Radio und im Fernsehen wurde das gesagt. Auf dem Schild steht das so allerdings nicht.

An einem Holzpflock, den jemand in die vom Herbstwetter feuchte Erde am Straßenrand gerammt hat, verkündet es bloß eine Objektnummer, den Namen eines Auktionshauses für Immobilien, ein Mindestgebot und das Datum einer Versteigerung: Nr. 58, Karhausen AG, 125 000 Euro, 9. Dezember. Wer die Geschichte zu Objektnummer 58 nicht kennt, fährt an diesem Schild genauso vorbei wie der Bus 560, der in Alwine keinen Halt vorsieht. Überhaupt weist wenig darauf hin, dass hier Menschen wohnen. Von der Straße aus sieht man auseinanderfallende Backsteinhäuser, Büsche und Hecken und dazwischen einen schmalen Weg, gerade breit genug für ein Auto. Asphaltiert zwar, aber von Löchern und Pfützen zersetzt. Wenn hier jemand wohnt, dann nur deshalb, weil er nicht gefunden werden will.

Dank des Schildes allerdings haben in den vergangenen drei Wochen so viele Menschen Alwine gefunden wie in den zurückliegenden 26 Jahren nicht. 1991 wurde die Siedlung im brandenburgischen Nirgendwo zwischen Cottbus, Dresden und Leipzig aufgegeben, als die dazugehörige Kohlebrikett-Fabrik schloss. Die Häuser hier waren in der DDR Volkseigentum, nach der Wende wurde Alwine zum Treuhand-Grundstück, ehe 2001 zwei Brüder das Gesamtpaket erwarben. Diese investierten seitdem nichts in ihren Besitz und ließen ihn verfallen. Ein paar Menschen blieben trotzdem, manche zogen sogar her. Die Mieten sind billig.

Paul Urbanek, 71, schwarze Trainingshose, weinroter Kapuzenpullover, weißer Bart, lebt seit sechs Jahren in einer Bruchbude. Von außen bröckelt der Putz, Fenster im Obergeschoss sind zugemauert, in den Dachrinnen wuchert Unkraut und in den Gauben Schimmel. Drinnen reißen die vom Kohlenstaub dreckigen Wände, den Dachboden hält Urbanek gerade noch trocken, sagt er, während er Holzscheite in seinen Ofen wirft, mit dem er heizt. Paul Urbanek ist ein Großvatertyp, mit riesiger Bonbonschüssel auf dem Couchtisch, kuscheligem Hund und jeder Menge Geschichten. Vom Vater, der früh starb und von den Jahren, die er auf einem Friedhof bei Hamburg arbeitete, er erzählt gerne, stundenlang und im norddeutschen Singsang, er zog nach seiner Scheidung aus Schleswig-Holstein hierher. Vor drei Wochen fand er frühmorgens, halb sieben muss es gewesen sein, ebenjenes Schild am Siedlungseingang.

"Ich hielt es für einen Scherz", sagt er. "Keiner hier wusste irgendwas von einer Versteigerung." An diesem Punkt seiner Erzählung kippt seine Stimme, sie ist jetzt nicht mehr fröhlich, sondern wütend. "Die haben uns verarscht!", ist noch einer der harmloseren Flüche.

Urbanek ist auch so etwas wie der Sprecher der Siedlung geworden. Er sagt, er liebe die Ruhe hier und dass ihn beim Grillen höchstens mal ein Fuchs oder Rehe stören. Außer ihm wohnen etwa 14 weitere Menschen in den baufälligen Häusern Alwines; wie viele Alwiner es wirklich gibt, lässt sich schwer sagen, weil Urbaneks Nachbarn, die Köhns, acht Kinder haben. Von denen sind einige ausgezogen und andere bürgern ihre Partner temporär ein.

Am Tag nachdem Urbanek das Schild entdeckt hatte, tauchte ein Bild-Reporter auf. Erst der habe ihm erklärt, was hinter Objektnummer 58 steckt: ganz Alwine. Einer der beiden Investoren-Brüder sei verstorben, das Häuserpaket deswegen zur Versteigerung freigegeben. "Warum hat uns darüber niemand offiziell informiert?", sagt Urbanek, nein, er brüllt.

Er und die anderen in der Siedlung leben seitdem in Ungewissheit. Das war früher ähnlich, weil keiner Kontakt zum Vermieter hatte. Nachbarin Angela Köhn, die achtfache Mutter, sagt, sie habe den Vermieter ein einziges Mal erlebt, 2008. "Danach brach der Kontakt ab, warum, wissen wir nicht." Anfang dieses Jahres hätten sie und ihr Ehemann dann beschlossen, die 750 Euro Miete für die zwölf Zimmer und 250 Quadratmeter Wohnfläche nicht mehr zu überweisen. "Wir wussten ja sowieso nie, ob das Geld überhaupt ankommt." Schornsteinfeger und Elektriker seien zumindest schon lange nicht mehr bezahlt worden. Nur: Jetzt ist aus Ungewissheit Angst geworden.

Die Alwiner wissen nicht, was mit ihnen passiert, wenn ihre Häuser neue Besitzer bekommen, fürchten, vertrieben zu werden. "Das Sinnvollste wäre ja, alle Häuser plattzumachen und hier Neubauten hinzustellen", sagt Urbanek. Sie haben sogar überlegt, zusammenzulegen und die 125 000 Euro selbst zu bezahlen, aber es fehlt an Geld. Urbanek ist Rentner, Köhns Mann auch, sie trägt Zeitungen aus. "Wir gehen hier auf keinen Fall weg!", ruft Köhn und ballt ihre rechte Faust.

Auch die Kommune sei zum Kauf nicht in der Lage, sagt Andreas Claus. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Uebigau-Wahrenbrück, zu der Alwine zählt. Claus sagt: "Die Schwächsten unserer Gesellschaft werden hier zum Spekulationsobjekt."

Bloß - warum sollte jemand mit dieser heruntergekommenen Siedlung mitten im Wald überhaupt spekulieren? Mit Häusern, die modernisiert, saniert und zum Teil von Grund auf erneuert werden müssen? Die Siedlung sei interessant für Ruheliebhaber, sagt der Bürgermeister. Interessant für bislang 40 potenzielle Käufer, sagt die Karhausen AG.

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass Alwine am Samstag versteigert wird", sagt Mathias Knake aus dem Vorstand der Immobilienfirma. Er hält die Schilderungen der Alwiner für "ein bisschen übertrieben". Bevor das Schild aufgestellt wurde, seien zwei Kollegen dort gewesen, um über den Verkauf zu informieren. Und den Medienrummel, den hat Knake selbst forciert. Wenn deutsche Medien über Versteigerungen ganzer Dörfer in den USA berichten, könnten auch ausländische Medien Versteigerungen in Deutschland aufgreifen. Dass die Alwiner darunter leiden könnten, sieht Knake nicht. Sie bräuchten nicht zu befürchten, ausziehen zu müssen: "Jeder Immobilieninvestor ist doch froh, wenn er Bewohner hat, die in einem solchen Objekt leben." Allein schon, weil die Objekte dann nicht dem Vandalismus preisgegeben seien. "Wir erwarten einen Käufer, der Alwine nach und nach saniert", sagt Knake.

Alwines Einwohner werden das, was am Samstag passiert, sehr genau verfolgen. Der Bürgermeister Claus will den Käufer sofort einladen, um über das weitere Vorgehen zu sprechen. Paul Urbanek sagt: "Wer diese Häuser kauft, der kauft uns mit!" Und, nur damit das klar sei: "Ich bin mehr wert als 125 000 Euro."

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Quelle:
SZ vom 08.12.2017
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