Süddeutsche Zeitung

Aktuell:Wortloser Widerstand

In China ist ein leeres, weißes Blatt Papier zum Symbol des Widerstands geworden. Über Protest in einem Land, in dem Proteste streng verboten sind.

Von Nina Himmer

Eine Ukraine-Flagge vor dem Fenster, ein kunstvoll gestaltetes Pappplakat für die Klimademo oder ein Boykott-Aufkleber gegen die Fußball-WM in Katar: Wer in Deutschland seine Meinung sagen will, kann das frei und ohne Angst tun. Menschen, die nicht in Demokratien leben, haben es da sehr viel schwerer. Vor allem Kritik an der Regierung ist für sie gefährlich. In Russland etwa drohen allein für die Verwendung des Wortes "Krieg" bis zu 15 Jahre Gefängnis, in Iran kann es für Frauen tödlich enden, kein Kopftuch zu tragen und wer in China gegen die Corona-Regeln verstößt, wird mit einem Schild um den Hals öffentlich vorgeführt. Deshalb ist es umso beachtlicher, wenn sich in diesen Ländern Menschen gegen die Politik ihrer Regierungen stellen. In China gab es gerade in mehrere Städten Proteste, zu denen die Menschen leere weiße Blätter mitbrachten. Protest unterdrücken Chinas Behörden schnell, aber wie soll man ein unbeschriebenes Papier zensieren? Ungesagtes bestrafen? Dass die Proteste gerade jetzt kommen, hat wohl zwei Gründe: Zum einen sind kürzlich bei einem Brand in einem Hochhaus viele Menschen gestorben - wohl auch, weil die strikten Corona-Maßnahmen ihre Rettung behindert haben. Zum anderen sehen die Chinesinnen und Chinesen im Fernsehen die vollen Stadien bei der WM, während in ihrer Heimat Ausgangssperren, Massentests und Zwangsquarantäne gelten. Weiß gilt in China übrigens als Farbe der Trauer. Man kann auch ohne Worte sehr viel sagen.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2022
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