Süddeutsche Zeitung

"Zukunft der Stadt": Subkultur:"Wir brauchen eine Bildungseinrichtung für Querdenker"

Lesezeit: 3 min

Kreative geben einer Stadt die Richtung, meint Dimitri Hegemann. Wie man sie fördern kann, weiß der Gründer des Berliner Techno-Clubs Tresor genau. Aus der SZ-Serie "Zukunft der Stadt".

Von Carolin Gasteiger

Die Welt wird urban. Immer mehr Menschen wollen in der Stadt leben, weil Metropolen gute Jobs bieten, aber auch Universitäten und ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. Dazu noch ein eng getaktetes Nahverkehrssystem, die besten Krankenhäuser und eine gute Internetverbindung. Nicht zu vergessen Flugzeug und Bahn, wenn man mal schnell weg will. Aber wie müssen sich Metropolen verändern, um einer urbanen Gesellschaft gerecht zu werden? Damit beschäftigt sich die SZ-Serie "Zukunft der Stadt". In dieser Folge lesen Sie über Subkultur. Alle Texte finden Sie hier.

Dimitri Hegemann, Gründer und Betreiber des Berliner Techno-Clubs Tresor, ist Raumforscher, Kulturmanager und Direktor von Kraftwerk Berlin, einem Raum für Kultur und Diskurs.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Woran es wirklich hakt, ist Raum. Von dem Raumparadies, das wir in Berlin nach der Wende hatten, ist nicht mehr viel übrig. Raum ist teuer geworden, nicht nur zum Wohnen, sondern auch zum Arbeiten. Handwerker finden kaum noch Werkstätten, die kleine Bäckerei in Kreuzberg kann sich die Miete nicht mehr leisten. Und diese hohen Mieten treffen auch Ateliers, Künstler, Bars und die kleinen Clubs.

Städte verschlafen unter anderem ein wichtiges Potenzial: die Nacht. In der wertvollen Zeit von Mitternacht bis morgens um 7 Uhr etwa könnten Cafés, Ateliers und Bars für kreative Nachteulen öffnen. Da kann einiges an Musik, Literatur, Kunst entstehen, was aber gerade noch zu wenig genutzt wird.

Wo liegen die Ursachen für diese Probleme?

Die Räume, die vorhanden sind, gehen zu selten an Kreative und Kultureinrichtungen. Oft sind die Mieten mit hohen Auflagen verbunden, etwa für Brandschutz, die kaum bezahlbar sind. Da nutzen die Behörden noch zu wenig ihre Spielräume aus. Die Eigentümer gehen einfach nach Profit und dem, der am meisten bietet. Zudem glauben viele kleinere Städte nicht daran, dass es in ihrer eigenen Gemeinde junge Leute gibt, die sich kreativ engagieren wollen. Ihnen fällt es schwer, auch mal Experimente zuzulassen und etwas auszuprobieren. Am Ende gehören auch die Clubs denen, die Geld haben - aber verlieren dadurch ihren Charme.

Was wäre die Lösung?

Man könnte die Kulturräume, die es gibt, effizient nutzen. Theater, Bühnen, vielleicht auch Schulen, die lange Sommerferien oder -pausen haben, könnte man zur Zwischennutzung an Ateliers oder Kreative für Workshops vermieten. Oder Pop-Up-Läden, Bars oder Restaurants. So was muss in Deutschland möglich sein, aber da denken viele noch zu begrenzt. Nach dem Motto: Wer Friseur gelernt hat, darf niemals als Koch arbeiten. Ein bisschen mehr Genredurchlässigkeit wäre wünschenswert.

Und, größer gedacht: Wir brauchen eine Bildungseinrichtung für Querdenker. Für Macher und Nonkonformisten, die ungewöhnlich denken und ihre Visionen bündeln. Die unterschiedliche Bereiche wie Verwaltung, Kreative und Juristen zusammenbringen. Da liegt ein riesiges Potenzial. Das hatte ich auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters schon mal vorgeschlagen. Kreative geben einer Stadt die Richtung, nur werden sie allzu oft nicht gehört.

Wo gibt es das schon als bestes Beispiel für die Zukunft?

Berlin hätte zumindest die besten Rahmenbedingungen. Viele Kreative strömen in die Hauptstadt, weil sie denken, Berlin hat die nötige Offenheit und Toleranz, um neue Wege zu gehen. Es gibt keine Sperrstunde, was ein Alleinstellungsmerkmal in der Stadt ist. Ich habe dem Bürgermeister von Detroit ( im Rahmen der Detroit-Berlin-Connection hilft Hegemann, das Clubleben in der nordamerikanischen Stadt wiederzubeleben, Anm. d. Red.) empfohlen, wenn er seine Stadt voranbringen will, muss er als einfachste Lösung die Sperrstunde aufheben.

Ihre verrückteste Idee, die wenig kostet?

Verwaltung und Kultur müssen stärker zusammenkommen. Aus diesem Grund brauchen wir mehr Vermittler, sogenannte intermediaries, die beide Sprachen verstehen und die unterschiedlichen Bereiche zusammenbringen. Mir schwebt diese Akademie für Nonkonformisten vor, die es in Schweden bereits gibt, in der Nähe von Stockholm. Das ist ein Angebot für junge Menschen, finanziert durch Stipendien. Die Teilnehmer werden ein Jahr lang gecoacht und verwirklichen dann gemeinsam kulturelle Projekte. Im weitesten Sinne würde, wer in eine solche Akademie investiert, in Freiheit, Freiraum, Frieden und Zeitinvestieren. Und das ist das, was die Menschen glücklich macht.

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