Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Musik aus dem Bauch

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So kurz vor den Sommerferien ist natürlich noch einmal rasend viel los in der Stadt, weil jeder Laden mit kulturellem Additiv noch seine Event-Tauglichkeit demonstrieren will. Bevor dann das große August-Schweigen beginnt

Kolumne von Karl Forster

Die Lust am Musizieren setzt ungeahnte Kräfte frei. So passierte es, dass Udo Jürgens, der Meister konventionellen Wohllauts, vor vielen Jahren nach einem Konzert im Kongresssaal des Deutschen Museums in den einst weltberühmten Münchner Jazzclub Domicile in der Siegesstraße einfiel, sich dort an den Flügel setzte und dermaßen losjazzte, dass manchem im Publikum schier die Ohren herunterfielen. Udo Jürgens jazzt? Nach drei Stunden auf der Bühne? Wie der Teufel. Ähnliches geschah eines späten Abends im Hotel Bayerischer Hof, wo Bruce Springsteen mit seiner E-Streetband abgestiegen war für einen Monsterauftritt im Olympiastadion. Parallel dazu fand im Hotel der Abschlussabend einer Tanzschule statt, mit Live-Band. Da enterten Springsteen & Co nach getaner Arbeit im Stadion deren Bühne und rockten bis in die frühen Morgenstunden. Einfach so.

Wäre so etwas heute noch vorstellbar? Zum Beispiel an diesem Freitag? Da rockt Jon Bon Jovi das Olympiastadion und Kollege Elton John tut gleichzeitig selbiges in der benachbarten Halle. Also hinterher eine kleine Session? Vielleicht im Nachtclub des Bayerischen Hofes, die Bühne wäre ideal. Aber Bon Jovi geht auch schon auf die Sechzig zu und Elton John ist jenseits der siebzig, da geht man lieber schlafen als jammen.

Wenn aber tags zuvor in der Bar Gabányi Tim Neuhaus und Florian Holoubek auf der Bühne stehen, könnte genau so etwas passieren: Musik aus dem Bauch, Musik aus dem Herzen, Musik aus purer Lust. Tim Neuhaus verdient seinen Lebensunterhalt unter anderem als Schlagzeuger bei der Blue Man Group, das ist Präzisionshandwerk. Wenn sein österreichischer Kollege Holoubek trommelt, spielt Neuhaus meist Gitarre und mit dem rechten Fuß einen Orgelbass und singt zum Beispiel das wunderschöne Lied "As Life Found You". Musik zum Träumen? Gab's mal bei Ö3. Gibt es jetzt wieder, in Stefan Gabányis Bar.

Überhaupt ist jetzt, kurz vor den großen Ferien, rasend viel los in der Stadt, weil jeder Laden mit kulturellem Additiv noch seine Eventtauglichkeit demonstrieren will, bevor das große August-Schweigen beginnt. Nur ein paar Beispiele: Auf dem Kraillinger Festplatz treibt am Freitag Georg Ringsgwandl sein "Wuide unterwegs"-Wesen. Die Express Brass Band spielt in der Kammer 2 auf zu Ehren zehn Jahre Flüchtlingshilfe "Save Me", ein Fest, das dank Italien einen etwas bitteren Geschmack bekommen dürfte. Am Samstag schwitzt man im Lustspielhaus zur Musik von 5/8erl in Ehr'n, was man unbedingt tun sollte. Es sei denn, man geht ins Fraunhofer, wo im Rahmen der Jörg- Hube-Gedächtniswochen ein Lauschabend mit dessen Stimme geboten wird. Auch was zum Träumen.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2019
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