Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Inspirierende Spinnereien

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Makramee ist stark im Kommen, da bandelt sich was an. Ich selbst spreche aus jüngerer Erfahrung eines Zelturlaubs an der französischen Atlantikküste

Kolumne von Michael Zirnstein

Was Kreative heute so fabrizieren, ist schon hübsch. Makramee zum Beispiel. Können Sie jetzt sagen: Ist doch ein alter Hadern, diese Knüpftechnik aus dem Orient zur Herstellung von Ornamenten, Textilien oder Schmuck, welche die Kreuzritter nach Europa brachten und die dann mit ihren rustikal anmutenden Arbeiten ihre letzte Blütezeit im Deutschland der Siebziger hatte. Hier aber irrt Wikipedia. Makramee ist stark im Kommen, da bandelt sich was an. Ich selbst spreche aus jüngerer Erfahrung eines Zelturlaubs an der französischen Atlantikküste. Kinder waren auch dabei, die beschäftigt werden mussten und also einen Strandschmuckstand aus Obststeigen betrieben. Derart eingespannt, stagnierte ihre Produktion bald, und sie heuerten einen Subunternehmer für die Knüpfarbeiten an. Mich. Während die Verkäufer die Gewinne untereinander aufteilten, gaben sie ständig neue Bestellungen in meinem Ein-Mann-Sweatshop auf: "Wir haben nur noch drei Muschel-Fußbändchen, mach mal schneller." Halber Schlag rechts, Wellenknoten, halber Schlag links ... Eine Lektion in globaler Ökonomie, aber irgendwie meditativ.

Handarbeit ist auch im Münchner Kulturbetrieb beliebt, weil sie so symbolhaft ist. Das Knüpfen eines Teppichs (Cilim) der bosnischen Weberin Ifeta beim fein gemusterten Theater-Festival Spielart (Schlussspurt bis 9. November) war nicht nur eine interaktive Performance, sondern ein Manifest: "Seine Fäden und seine Struktur aus Kett- und Schlussfäden, die in einem komplexen Gewebe aufeinandertreffen, stehen symbolisch für gesellschaftliche Zusammenschlüsse und Menschen in Bewegung aller Art: von Tourist*innen über Migrant*innen, Geflüchteten, Asylant*innen bis zu Gastarbeiter*innen." Verknüpfungen machen es spannend, auch in der Musik: Wenn die Münchner Reggae-Stars Jamaram mit der multikulturellen Banda Senderos eine engagierte Dancehall-Single rausschicken: "Lass sie reden." Oder wenn sich die (durch den Trompeter Martin Wenk und das Label Hausmusik mit München verfilzten) Americana-Helden Calexico nach langer Zeit wieder mit dem Bart-Folk-Star Iron & Wine zur Supergroup verhäkeln (11. November, Muffathalle).

Kultur ist immer verstrickt. In der Woche der Vielen ganz besonders (9. bis 17. November), in der sich unzählige Institutionen und Organisationen vom Volkstheater und den Kammerspielen übers Bellevue di Monaco bis zum Haus der Kunst in Diskussionen, Konzerten und Aktionen zur "Vielfalt in der Gesellschaft" bekennen. Gesponnen wird auch, also Web-mäßig, beim Zündfunk Netzkongress im Volkstheater (8. und 9. November), wo "digitale Vordenker" in Panels, Meetups und Workshops ihr Synapsen verknüpfen zu einer (künstlicher) Intelligenz jenseits der Filterblasen. Connection ist alles - so auch für den Macher des Magazins Mucbook, Marco Eisenack, der jüngst das "Mucbook Clubhaus" eröffnet hat. Einen schicken neuen "Co-Working-Space" für Kreativwirtschaftler in der Schillerstraße 3a mit weitverästeltem Angebot. So trifft man sich hier am 9. November zur Pflanzentausch-Party. Es gibt nicht nur Deko-Tipps zum Blumentopf-Verschönern, sondern auch einen Makramee-Kurs mit Amelie, wo ich vielleicht endlich auch Rippenknoten und Trossenstek lerne. Der nächste Urlaub kommt bestimmt.

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SZ vom 07.11.2019
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