Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Anleitung zum Fremdgehen

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Auch im Kulturleben kann es einen nur bereichern, hin und wieder die Komfortzone zu verlassen. Seitensprünge bringen einen weiter, lassen einen emotional wachsen, und wenn es sich nur um Gefühle wie Angst, Verzweiflung und tiefe Traurigkeit handelt

Von Bernhard Blöchl

Als ich vor zwei Wochen fremdgegangen bin, schien die Abendsonne über Giesing, als wollte sie mich auslachen. Dabei fühlte sich mein durch ein zweifelhaftes Geburtstagsgeschenk motivierter Fehltritt überraschend gut an. Beglückend, es endlich getan zu haben; befreiend, wie leicht es geschah. Über die sportliche Leistung brauchen wir nicht zu reden, die war mau im Vergleich zum Vertrauten. Aber die Stimmung, von der Männer wie Frauen unisono schwärmen, die war zwar nicht orgiastisch, aber beinahe ekstatisch. Klar, als Bayern-Mitglied zu den Sechzgern ins Grünwalder Stadion zu gehen, kostet Überwindung. Und doch bereue ich nichts. Denn erstens lernt man hier als Roter, wie leidenschaftlich die Blauen singen und wie viel Zeit sich die Spieler hinterher für ihre Fans nehmen. Zweitens: Unfassbar, so eine Arena mitten in der Stadt zu haben. Und drittens: Kenne deine Feinde.

Auch im Kulturleben kann es einen nur bereichern, hin und wieder die Komfortzone zu verlassen. Einmal, vor vielen Jahren, besuchte ich ein Konzert des Friedenstäubchens Nicole, und ich war erwartungsgemäß überfordert von der inflationären Rührseligkeit. Aber zu sehen, wie die Sängerin von Fans mit Blumen überschüttet wurde, war zumindest interessant. Oder Helene Fischer in der Olympiahalle! Seit diesem nachhaltigen Trauma schätze ich Songtexte, die durch Geist und Kreativität den schlagerhaften Stumpfsinn unterwandern, noch viel, viel mehr. Kurzum: Seitensprünge bringen einen weiter, lassen einen emotional wachsen, und wenn es sich nur um Gefühle wie Angst, Verzweiflung und tiefe Traurigkeit handelt.

Hier nun meine Anregungen zum Fremdgehen: Leser, die noch nie einen Film von Quentin Tarantino gesehen haben, sollten endlich damit anfangen ( Once Upon A Time In Hollywood läuft in vielen Kinos). Lesern, die immer nur klassische Musik hören, empfehle ich einen Konzertbesuch der virtuos wie ausdrucksstark aufspielenden Multiinstrumentalisten Metallica (23.8., Olympiastadion). Nachos schmatzende Cinemaxxe leite ich gern ins Werkstattkino um (zur hübschen Reihe One-Film Wonders, noch bis 28.8.), rocklastige Subkultur-Prediger zum Münchner Orgelsommer in die Kirchen, ruhesuchende Ausflügler zum Echolon nach Bad Aibling (17.8.). Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich quäle respektive fördere nicht nur Sie, sondern auch mich. Am Montag werde ich mir die Kinoversion zur britischen und von mir stur verschmähten Kostümserie Downton Abbey anschauen, in einer Pressevorführung vor dem Kinostart (19.9.). Die eigene Frau beim Seitensprung dabei zu haben, könnte eine interessante Erfahrung werden.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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