Süddeutsche Zeitung

USA:Rot und Schwarz

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Niklas Maak und Leanne Shapton durchwandern Manhattan von der Südspitze bis ans Nordende. Sie stellen fest: New York macht es seinen Bewohnern nicht leicht - es will vor allem den Besuchern gefallen.

Von Stefan Fischer

Eine Wanderung, die auf dem Wasser beginnt: Niklas Maak und Leanne Shapton, der Autor und die Illustratorin, nehmen die Staten Island Ferry, um sich an Manhattan heranzupirschen. Maak schildert ein Bild, das emblematisch ist für Manhattan, die Stadt New York, die gesamten USA: Er sieht von der Fähre aus die Freiheitsstatue und dahinter weiße Kräne, die, so wirkt es, mit ihren Auslegern die Armbewegung der Statue nachahmen, "wie bei einer surrealen Tanzchoreografie: Die Arme der Industrie folgen der Freiheit". Die amerikanische Freiheit, soll das bedeuten, ist vor allem eine des Kapitals. Maak wird noch etliche solche kleinen Szenen beobachten, die für ein großes, durchaus in sich widersprüchliches Ganzes stehen, ehe er und Shapton 21 Kilometer weiter im Norden am Ufer des Harlem River stehen werden; dort, wo Manhattan endgültig endet.

Die beiden haben keinen genauen Plan verfolgt für ihr Buch "Durch Manhattan", sie hatten "nur die Idee, das zu tun, was alle, die nach Manhattan kommen, seit Jahrhunderten taten: an der Südspitze ankommen und dann nach Norden gehen". Denn was entdeckt man in und was erzählt man über eine Stadt, wenn es einen fixen Plan gibt, wenn man nur gezielt ausgewählte Orte aufsucht? Zu wenig und das Falsche, so die Mutmaßung von Niklas Maak.

Deshalb machen er und Leanne Shapton sich lieber das geometrische Prinzip Manhattans zu eigen: die Linie. Und folgen einer solchen, die imaginär von der Südspitze, wo die Staten Island Ferry anlandet, hinaufführt zum Inwood Hill Park. Sie zeichnet die Bewegung der Besiedelung Manhattans nach. Und gibt, weil vieles Zufall ist, dabei jedem Winkel gleichermaßen die Chance, Teil dieses Manhattan-Puzzles zu werden. Dem Cover von "Durch Manhattan" ist diese Linie als das Relief einer Blutspur, einer Lebensader eingestanzt.

Die Besiedelung dieser Insel ist nichts Statisches, das zeigt sich insbesondere im Norden, wo Manhattan längst nicht mehr so aussieht, wie man sich Manhattan gemeinhin vorstellt. Je weiter man nach Norden gelangt, desto lateinamerikanischer wird die Stadt. Maak und Shapton erleben einen schrillen, lärmenden Alltag, die Häuser sind nur noch zweigeschossig, Englisch ist dort eine Fremdsprache. Früher wohnten hier einmal europäische Auswanderer.

New York will Besuchern gefallen. Das macht es den Bewohnern nicht leicht

Es gibt, das ist schnell klar, nicht das eine Manhattan. Dazu sind die 1,6 Millionen Bewohner viel zu unterschiedlich in ihrer Herkunft, in ihrer Weltsicht, in ihrer Kaufkraft. Wohltuend an Maaks Beobachtungen und Einschätzungen ist, dass er nicht das vorherrschende Bild, das man als Tourist hat, automatisch als das richtige, das wahrhaftige reproduziert. Vielmehr steht er dem zunehmend aseptisch werdenden Süden Manhattans skeptisch gegenüber. Besonders hart ins Gericht geht er mit dem neu gestalteten Areal rund um die Wall Street, auf dem alles designt ist: die Bänke, die Gehwegplatten, die Laternen. "Es ist eine schmutz-desinfektorische, menschenabweisende Stadtoberfläche", so Maak. Abwaschbar und steril.

Diese Neugestaltung geht zurück auf Michael Bloomberg, der von 2002 bis 2013 Bürgermeister von New York war: "Das Ideal der Bloomberg-Stadt ist der flanierende, schauende, kontemplative oder touristisch staunende Stadtbetrachter - nicht der Bürger, der sich zum Demonstrieren zusammenrottet." Niklas Maak macht sich lieber auf die Suche nach Orten, an denen Manhattan widerborstiger ist, wild wuchernd, individuell. Wo die Stadt auch etwas über ihre Herkunft verrät.

Unterstützt wird er dabei von Leanne Shapton und ihren Aquarellen. Shapton benutzt lediglich zwei Farben: Schwarz und einen Rot-Braun-Orange-Ton. "Rot und Schwarz - das bräunliche, rußige, dunkle Rot der Backsteinhäuser und das Schwarz der alle paar Jahre mit dicker Lackfarbe übermalten schmiedeeisernen Geländer im Village, das flackernde Rot der alten Neonreklamen und das Schwarz der schiefen Holztreppen - sind die Farben des alten New York." Mit ihnen illustriert Shapton aber kein nostalgisch gefärbtes Bild, sondern die aktuelle Stadt. Es sind Bilder wie Schatten. Sie lassen einen an Platons Höhlengleichnis denken: Alles, was sie zeigt, was Maak beschreibt, was man selbst wahrnehmen und empfinden würde bei einem Besuch, ist Abbild und Spiegelung einer Realität und nicht diese selbst.

Die Aquarelle zeigen extrem reduzierte, geometrische Formen, so, wie Maak ebenfalls die Stadt in Miniaturskizzen und Aphorismen beschreibt, die ihn immer wieder zu kritischen Schlussfolgerungen führen. Zusammen entwickeln sie eine Dynamik, die unglaublich viel erzählt über Manhattan, dieses Herz von New York. Das in manchem exemplarisch steht für das Leben in westlichen Metropolen generell: Es koppelt sich einerseits vom Rest der Gesellschaft immer mehr ab und wird andererseits immer dörflicher.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2017
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