Süddeutsche Zeitung

Ulrich Tilgner im Konflikt mit dem ZDF:Wundgerieben

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ZDF-Nahost-Korrespondent Ulrich Tilgner zweifelt an den journalistischen Methoden des Mainzer Senders. Mit Schröder habe der eingebettete Journalismus in Deutschland begonnen.

Hans Leyendecker und Christopher Keil

In einem in diesen Tagen erschienen Handbuch über Kriegs- und Krisenberichterstattung beschreibt der ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner, 60, die "Gratwanderung" bei der Informationsbeschaffung. Er schildert die Versuche der "Bevormundung" durch Militärs und Politiker: "Gezielte Indiskretionen, Falschmeldungen, Propagandakonstrukte". Wohin der Blick des 60 Jahre alten Journalisten auch schweift, überall droht Medien die Gefahr, durch Mächtige manipuliert zu werden.

Was der Nahost-Korrespondent des ZDF in dem Buchbeitrag nicht beschrieb, war der alltägliche Kleinkrieg mit der Redaktion, mit den Besserwissern, den Neunmalklugen, die ignorieren, dass in Teheran die Uhr zweieinhalb Stunden weiter und alles Behördliche geschlossen ist, wenn sie um 15.30 Uhr nach der Konferenz einen Beitrag bestellen. Tilgner ist Leiter des ZDF-Büros in Teheran und ZDF-Sonderkorrespondent für den Nahen und Mittleren Osten, an der Zentrale hat er sich wundgerieben.

Boulevardesk und regierungsfromm

Eine Mail aus Mainz wie: "Lieber Herr Tilgner, diesmal leider nicht ausschließlich Lob auf Ihren gestrigen Beitrag", die "ARD war uns gestern in der Berichterstattung leider einen Schritt voraus", kann ihn zur Raserei bringen. "Wie schon telefonisch gesagt, empfinde ich diese Kritik als hinterhältig", hat er den Besserwissern eine Mail zurückgeknallt. Und: "Ich habe dem heute-journal meinen Beitrag nicht angeboten, sondern ausdrücklich auf die Knappheit meines Materials hingewiesen."

Zwischen dem erfahrenen und mit Preisen ausgezeichneten Reporter und Mainz kriselt es erkennbar. Tilgner hat seinen im März auslaufenden Vertrag nicht verlängert. Künftig, das hat er einem Schweizer Magazin erklärt, wolle er hauptsächlich für das Schweizer Fernsehen SF arbeiten.

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender versucht gerade, seinen Mann zu halten. Am Dienstag konferierten beide wieder miteinander. Die offizielle Sprachregelung heißt, dass Tilgner dem ZDF verbunden bleibe. Es soll ihm ein neuer, veränderter Vertrag vorgelegt werden, aber niemand im Sender weiß, ob Tilgner unterschreiben wird.

Es ist ein Konflikt zwischen einem Einzelkämpfer und der Zentrale, aber es geht auch um Grundsätzliches: Tilgner missfällt die ganze Richtung. Er findet vieles, was über den Schirm kommt, zu boulevardesk, und seit die deutsche Freiheit angeblich am Hindukusch verteidigt wird, auch zu regierungsfromm.

Anwalt der Bürger

In der Zentrale wiederum kritteln sie, dass der eigene Mann oft schwer erreichbar sei, vieles an ihm sei chaotisch, und wer sich in einer Gegend nicht auskenne, verstehe ihn am Telefon kaum. Es gibt viele Nörgler, darunter auch Leute, die immer nur in Mainz waren und nur an der internen Front kampferprobt sind.

Tilgner ist, wie viele Korrespondenten, im Lauf der Jahre ein bisschen Diva geworden, aber er hat sich das Star-Dasein auch verdient. Er begann 1976 beim Süddeutschen Rundfunk, wechselte zur Nachrichtenagentur dpa, ging in den Iran, wurde des Landes verwiesen. Bis 1986 arbeitete er von Hamburg aus, dann ging er nach Jordanien. 2002 kehrte er zum ZDF zurück, das ihn nach Teheran schickte.

Er ist der geborene Auslandskorrespondent: Distanz halten. Als Anwalt der Bürger den Mächtigen auf die Finger gucken. Sich selbst kundig machen, dann die Zuschauer informieren und ihre Urteilsfähigkeit stärken, ist sein Prinzip. Er habe "unter den extremen Bedingungen der Kriegsberichterstattung seine professionelle Qualität und seine journalistische Unabhängigkeit bewahrt und bewiesen", urteilte die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises, den er 2003 für seine Irak-Berichterstattung erhielt.

Einer, der nicht dazugehört

Aber sind die eigenen Leute noch unabhängig? Tilgner tut sich erkennbar schwer mit jenen ZDF-Leuten, die nah am Berliner Regierungsbetrieb sind und dann mit dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Kabul fliegen und berichten. "Die Berliner", sagt er gern, und das klingt gar nicht nett. Nah dran, doch ohne Durchblick, heißt das übersetzt. Mit der Regierung des Gerhard Schröder habe der eingebettete Journalismus in Deutschland angefangen, und Steinmeier setze die Tradition durch, sagt Tilgner schon mal Vertrauten.

Es kann passieren, dass in Kabul deutsche Militärs nicht mit ihm reden, weil gerade die Politik exklusiv was mit einem Boulevard-Blatt macht. Längst ist nach seiner Wahrnehmung ein geschlossener Kreislauf entstanden, in dem Journalisten die Adressaten symbolischer Politik sind und die Wahrheit auf der Strecke bleibt. In Kabul ist Tilgner neulich von deutschen Diensten abgehört worden - Vorsicht, da redet einer, der nicht dazugehört.

Dass die Zentrale im Mainz nach Wahrnehmung von Tilgner die amerikanische Warnung vor der angeblichen Atommacht Iran aufnimmt und sogar verstärkt, irritiert ihn sichtlich. Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass der Experte wenig zählt oder als Abweichler behandelt wird.

Korrespondenten sind manchmal scheue, empfindsame Wesen, aber der Zuschauer verbindet mit ihnen die Welt. Dass Tilgner, egal welcher Vertrag ihm vom ZDF angeboten wird, seine Berichterstattung fürs Schweizer Fernsehen ausweiten will, hat damit zu tun, dass die Schweizer ihm nicht reinreden. Sendungen wie Tagesschau oder 10 vor 10 seien Institutionen, sagt Tilgner, der in der Schweiz ein Großer ist. Das zielt auch gegen das heute-journal.

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SZ vom 30.1.2008/kur
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