Süddeutsche Zeitung

"Trautmann" im Kino:Der Feind in meinem Tor

Lesezeit: 3 min

"Trautmann": Ein Kinodrama von Marcus H. Rosenmüller über den deutschen Fußballer, der in England zum Nachkriegsstar wurde.

Von Anna Steinbauer

Eine kleine Ortschaft an der Ostfront, mitten im Zweiten Weltkrieg. Zerstörte Häuser, deutsche Soldaten lungern herum, ein paar Kinder spielen auf der schlammigen Straße Fußball. Da schnappt sich einer der Wehrmachtssoldaten mit breitem Grinsen den Ball, die Kinder weichen erschrocken zurück. Nur ein Junge traut sich näher heran und fordert ihn zurück. Der Deutsche macht sich einen sadistischen Spaß daraus, ihn zu ärgern. Er legt den Ball auf den Boden, brüllt den Jungen an, er solle das Ding doch holen. Der Kleine ist verunsichert, zögert zunächst, nimmt dann aber den Ball und entfernt sich langsam. Da legt der Soldat seine Pistole an und schießt.

Unter den anderen deutschen Soldaten, die Zeugen dieser Szene werden, befindet sich auch der Fallschirmjäger Bernhard Trautmann, gespielt von David Kross. Er ist der Held des Biopics "Trautmann" von Marcus H. Rosenmüller über den Mann, der nach dem Krieg zum Startorwart in England wurde. Wie tief sich die Episode mit dem Straßenjungen in Trautmanns Gedächtnis eingebrannt hat, wie sie zu seinem prägendsten Kriegserlebnis wurde, darauf kommt der Film immer wieder zurück. Mehrfach wird Trautmann von Erinnerungsfetzen heimgesucht, die das Geschehen in unterschiedlichen Variationen durchspielen. Ständig glaubt er, den Jungen inmitten von Menschenansammlungen wiederzuerkennen, ständig taucht dieser in seinen Träumen auf. Das Kind wird in Rosenmüllers Fußballdrama zur Personifikation von Trautmanns Schuld, die er als Angehöriger der Wehrmacht auf sich geladen hat. Ein Geist aus der schrecklichen Vergangenheit.

Nach Kriegsende sitzt Trautmann in einem britischen Kriegsgefangenenlager. Ausgerechnet hier beginnt seine Karriere, in der er es bis zum Spitzenklub Manchester City schaffen wird. Im Arbeitslager wettet Trautmann um ein paar Zigaretten, dass er im Tor jeden Ball halten könne. Dabei wird er vom Trainer des örtlichen Provinzklubs beobachtet, der in seiner Mannschaft dringend einen fähigen Keeper braucht. Er bietet Trautmann an, ihn zeitweise aus dem Lager zu holen, wenn er für ihn spielt.

Darüber braucht der Deutsche nicht lange nachzudenken, weil er lieber für die Engländer Fußball spielen möchte, als weiter im Lager ihre Latrinen zu putzen. Außerdem hat der Trainer zufälligerweise eine attraktive junge Tochter namens Margaret (Freya Mavor). Zunächst ist im Dorf keiner begeistert vom Nazi-Torwart, doch als dieser den Verein vor dem drohenden Abstieg bewahrt, wachsen die Sympathien bei Mannschaftskollegen, Publikum und Trainertochter.

Bernhard, der bald nur noch Bert genannt wird, und Margaret heiraten. Ein Scout von Manchester City wird auf ihn aufmerksam und wirbt ihn an. Dort sind die Fans auch erst entsetzt über den Deutschen. Aber als dieser 1956 ein legendäres Finalspiel trotz Genickbruch zu Ende spielt, erobert er auch hier die Herzen und steigt in den englischen Fußballolymp auf.

Der Film erzählt diese Geschichte als wundersame Metamorphose vom Feind zum Helden, der keiner sein will. Rosenmüller hat die Erfolgsstory als Versöhnungsgeschichte angelegt, die von Integration und Vergebung in einer Zeit erzählt, in der die Menschen vom Krieg traumatisiert sind. Leider übertreibt es der Regisseur, der an sich ein gutes Gespür für soziale Milieus hat, mit seiner Harmoniesucht. Weshalb die deutsch-britische Koproduktion stellenweise kitschig und gefühlsduselig gerät. David Kross als Trautmann muss pathetische Drehbuchsätze wie diesen aufsagen: "Ich bin kein Monster! Mich zu hassen, da machst du es dir einfach!" Auch die Streicher tragen für die Filmmusik zu dick auf; wenn er Richtung Torecke hechtet, schwellen die Akkorde dramatisch an.

Als Trautmann am Höhepunkt seiner Karriere angelangt ist, ereilt ihn ein schwerer Schicksalsschlag, aber der Film verliert sich zwischen Originalaufnahmen von Fußballspielen und übertriebenem Solidaritätsgeplänkel. "Gegen die Tränen der Hinterbliebenen kommst du nicht an", gibt der erste Trainer und spätere Schwiegervater dem kriegsgeschädigten Trautmann zu bedenken. Aber da hat sich dessen Kampf mit seinen inneren Dämonen längst in der Gefälligkeit einer Filmdramaturgie aufgelöst, die, wie einst das deutsche Nachkriegskino, die Schrecken des Krieges mit dem Standardrepertoire des Melodrams sublimiert.

Trautmann , D/GB 2019 - Regie: Marcus H. Rosenmüller. Buch: Nicholas J. Schofield, Robert Marciniak, Marcus H. Rosenmüller. Mit: David Kross, Freya Mavor, Harry Melling. Square One, 120 Minuten.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die am Anfang erwähnte Episode fälschlicherweise ins britische Manchester zu Kriegsende verlegt. Korrekt ist, dass diese Episode aus dem Film an der Ostfront, genauer in der Ukraine, handelt.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2019
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