Süddeutsche Zeitung

Tragikomödie:Alles über Lady Susan

Lesezeit: 3 min

Einsamkeit und Intrigen: Die Tragikomödie "Love & Friendship" mit Kate Beckinsale ist die Kinoadaption eines Briefromans der jungen Jane Austen.

Von Fritz Göttler

Eine der schönsten Szenen dieses kleinen klugen Films gibt es schon am Anfang. Da fährt die Kutsche mit Lady Susan in einer prächtigen Totale vor dem Landsitz Churchill vor, zwei Diener in grünen Livreen bewegen sich gemessen die Freitreppe hinab, ihnen folgt der Hausherr Charles Vernon, Lady Susans Schwager, und seine zwei kleinen Kinder. Lady Susan steigt aus und streckt die Arme aus, um den Schwager zu begrüßen, bei dem sie sich für einige Zeit einnisten will. Mittlerweile streckt auch der kleine Bub seine Arme aus und schüttelt sie in der Luft - auch ich bin da, will er signalisieren, und auch dass er weiß, was sich gehört, und außerdem sind die Ärmel seines himmelblauen Fracks zu lang, und er versucht seine Händchen ins Freie zu bringen. Ein perfektes Willkommen. "Love & Friendship" zeigt mit großem Ernst und ziemlichem Spaß die Rituale vom Beginn des 19. Jahrhunderts, welche Rolle sie damals spielten, und wie jedes Ritual immer auch erzählt, wie es funktioniert und wie es sich zusammensetzt. Strukturalismus à la Austen.

Die Bezeichnung als Strukturalist würde der Filmemacher Whit Stillman natürlich entschieden zurückweisen, aber bemerkenswert bei ihm ist, dass er immer anders denkt, als man bei seinen Äußerungen erst mal vermuten würde, und dass seine Filme ihre ganz eigene Sprache sprechen. Stillman wurde 1952 geboren, studierte Geschichte in Harvard, arbeitete als Journalist und in einem Verlag, machte 1990 seinen ersten Film "Metropolitan" über Elitestudenten in New York. Anfang dieses Jahrhunderts hat er mehrere Jahre lang nicht mehr gedreht, erst 2011 kam "Damsels in Distress", eine College-Komödie mit Greta Gerwig, dann die erste Folge einer Amazon-Reihe "The Cosmopolitans", der er sich nach dem Film "Love & Friendship" weiter widmen will. Es geht um junge Amerikaner auf ihrer Suche nach Liebe in Europa.

In seiner Jugend, bekundet Whit Stillman gern, habe er Jane Austen überhaupt nicht gemocht, aber als 1990 "Metropolitan" in die Kinos kam, haben die meisten Kritiker ihn als austenesk gerühmt. 1994 wurde ihm dann die Verfilmung von "Sinn und Sinnlichkeit" angeboten - er lehnte ab, und Ang Lee hat den Film dann sehr erfolgreich gedreht.

Die Mutter sucht einen Mann für die Tochter und für sich selbst, es darf auch ein Tölpel sein

"Lady Susan", nach dem "Love & Friendship" entstand, ist ein frühes Stück von Jane Austen, sie hat den kleinen Briefroman mit zwanzig geschrieben, er war nie zur Veröffentlichung bestimmt. Ein dichtes Protokoll von Anziehungs- und Abstoßungseffekten, wobei die Affektion, die Gefühle, die Liebe nicht wirklich die wichtigste Rolle spielen. Aktion und Analyse gehen nahtlos ineinander über, das Reden selbst ist ein Handeln, wie man es kennt aus den klassischen Filmen von Howard Hawks und Joseph L. Mankiewicz. Es ist eigentlich alles ganz natürlich, Lady Susan ist Witwe und muss schauen, wo sie bleibt, also klappert sie unermüdlich Freunde und Verwandte ab, sucht eine Partie für ihre Tochter Frederica und auch eine für sich, es kann ruhig ein tölpeliger Typ sein: "Ach tatsächlich, es gibt nur zehn Gebote, nicht zwölf? Hm, welche zwei lassen wir denn da am besten weg ..."

Kate Beckinsale ist eine außergewöhnliche Lady Susan, schön und elegant, boshaft und durchtrieben, ohne falsche Scham und mit einem gesunden intriganten Drive. Man sollte sich unterstehen, sie als Femme fatale zu bezeichnen. Vielleicht sieht man den Film am besten zusammen mit der fünften Folge des "Underworld"-Epos, wo Beckinsale die Vampirin Selene verkörpert, deren Handeln inzwischen primär mütterlich gesteuert ist.

Die Welt in den Romanen von damals, sagt Whit Stillman, hatte ein soziales Gewebe, und er verwendet das Wort bewusst in seinem textilen Aspekt. Die Drohung der Einsamkeit, von der sein Film auch erzählt und die sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun hat, versteht man über seine persönliche Situation damals: "College war verrückt genug. Aber als ich nach dem College nach New York zurückkam, schien alles so atomisiert und einsam, nichts wo man hingehen konnte. Keine Tanzhallen. Nur diese Saftbuden mit ihren Süchtigen, ihren Druggies. Woodstock und so weiter. Ein Albtraum." Der soziale Frack der Gegenwart hat zu kurze Ärmel, auch davon erzählt dieser Film.

Love & Friendship , USA 2016 - Regie, Buch: Whit Stillman. Nach dem Roman von Jane Austen. Kamera: Richard Van Oosterhout. Musikalische Leitung: Mark Suozzo. Komponist: Benjamin Esdraffo. Schnitt: Sophie Corra. Mit: Kate Beckinsale, Chloë Sevigny, Xavier Samuel, Morfydd Clark, Stephen Fry, Emma Greenwell, James Fleet, Jemma Redgrave. KSM, 96 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 30.12.2016
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