Süddeutsche Zeitung

Tollwood-Winterfestival:Brave Bürger von Australien

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Der Circus Oz zeigt die Show "Model Citizen"

Von Christiane Lutz, München

Wenn Rob Tannion über die ideale Nouveau-Cirque-Show nachdenkt, fragt er sich: "Was würde meine Mutter sagen? Wie muss eine Show sein, damit sie versteht, um was es geht?" Der 48-Jährige ist künstlerischer Direktor des australischen Circus Oz, der von diesem Freitag an mit "Model Citizen" auf Tollwood gastiert, wo er zuletzt 1994 zu sehen war. Tannion, kahlrasiert und durchtrainiert, ist gelernter Tänzer, selbst Australier, lebte und arbeitete aber 23 Jahre in Europa. Er war Teil des extrem sportorientierten "DV 8 Theatre" in London und gründete eine Tanzkompanie in Madrid. Irgendwann lernte er Zirkusgruppen kennen, und ihm gefielen vor allem die Körper, die beim Zirkus anders als beim Tanz, sehr unterschiedlich sein dürfen: riesige muskulöse, lange dünne Körper, drahtige Körper.

So übernahm Rob Tannion 2016 die Leitung des Circus Oz, die seit 40 Jahren bestehende, traditionsreichste Nouveau-Cirque-Gruppe Australiens. Allein in diesem Jahr inszenierte er fünf neue Shows, große und kleine, um international damit touren zu können und für alle möglichen Orte etwas im Angebot zu haben. "Model Citizen" bedeutet übersetzt etwa: idealer Bürger. Neben der Körperkunst interessiert Tannion sich für Fragen wie: "Was macht einen guten Bürger, was eine vorbildliche Gesellschaft aus? Was bedeutet es, in dieser Gesellschaft Außenseiter zu sein?" Australien mag noch das Image eines extrem entspannten Landes haben, "ich empfinde das aber nicht mehr so".

Tannion sagt, sein noch naiver Blick auf den Zirkus helfe ihm beim Schaffen neuer Ideen. Wer nicht weiß, dass es eine Regel gibt, kann auch keine brechen. Abstrakte Zirkus-Objekte wie eine einfache Balancierstange gefallen ihm nicht, solche, die den Artisten nur dazu dienen, ihre Fähigkeiten daran zu demonstrieren. Für "Model Citizen" ließ er deshalb alltägliche Haushaltsobjekte überdimensional vergrößern. Die Artisten klettern auf großen Kreditkartenhäusern und gigantischen Sicherheitsnadeln herum. Eine Erinnerung an die Winzigkeit des Menschen und eine Metapher für dessen gelegentliche Überforderung im Alltag. Durch diesen Alltag navigieren sich die Artisten, einer von ihnen ist Mitch, der "Fremde", der nicht in die Modellgesellschaft passt. Denn, auch das ist mit "Model" gemeint: Viele Menschen scheinen aus den selben Bauteilen zusammengeschraubt und ähneln sich daher auf eine Weise. Aus Systemen, aus Mustern auszubrechen, bleibt auch 2018 noch eine Herausforderung.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2018
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